Die Zeiten übergreifender Streaming-Dienste scheint vorbei. Immer mehr Sender und Produzenten starten eigene Angebote, um Content exklusiv zu verwerten. Der Markt verändert sich – und Disney könnte für ein richtiges Beben sorgen.
Vor sieben oder acht Jahren, als Streaming-Dienste hierzulande ihren Siegeszug gerade erst richtig begannen, drehte sich fast alles noch um die Frage des Abo-Modells: Wo bekomme ich den meisten Content für das wenigste Geld? Die Inhalte waren meist sehr ähnlich, große Unterschiede gab es noch nicht. Doch mit dem Start von Netflix begann sich der Markt zu verändern – zunächst nur langsam, doch dann immer schneller. Denn mit seinen exklusiven Inhalten setzte der US-Dienst ein Zeichen, dass die Konkurrenz nicht mehr lang übersehen konnte. Inhalte wurden immer wichtiger, die Jagd nach Alleinstellungsmerkmalen begann.
Reine Abspielplattformen wie Watchever blieben zunehmend auf der Strecke. Das „Grundrauschen“ bekam man überall, wichtig wurde das Zusatzangebot, dass man eben nur bei einem Anbieter finden konnte. Das Potential haben in den letzten Jahren auch immer mehr Sender und Produzenten für sich entdeckt, denn nicht umsonst schießen die Streaming-Dienste aktuell wie Pilze aus dem Boden. Statt alle Inhalte auf einer Plattform zu bündeln, kochen nun gerade die US-Sender, die die meisten großen Hit-Serien produzieren, jeder ihr eigenes VoD-Süppchen. HBO und Starz sind zum Beispiel längst ins Geschäft eingestiegen, Comcast und Warner sind nur zwei weitere Anbieter, die bald nachziehen wollen. Und Disney.
Am 12. November soll Disney + in den USA an den Start gehen. Einen deutschen Termin gibt es zwar noch nicht, doch es wird sicher nicht lange dauern, bis der neue Dienst mit der Expansion beginnt. Und der könnte die ganze Branche zum Beben bringen, denn Disney + bringt eine Schlagkraft mit, die bisher kein VoD-Anbieter hatte: Ein Image, riesige Fangemeinden und einen ganzen Sack voll Titel, die sich schon allein durch ihren Namen verkaufen. Quasi all das, was sich Netflix mit Serien wie „House of Cards“ oder „Orange is the new black“ in den letzten Jahren mühsam aufgebaut hat und woran Konkurrent Amazon noch immer arbeitet. Der Online-Händler konnte zwar schon einige Erfolge verbuchen, der große Knaller im Portfolio fehlt aber noch. Die geplante „Herr der Ring“-Serie soll diese Lücke füllen, aber auch die wird sich erst noch beweisen müssen.
Über all das muss sich Disney keine Gedanken machen. Neben den berühmten Zeichentrickfilmen und den Realverfilmungen, die vor einigen Jahren angelaufen sind und demnächst um „König der Löwen“ und „Mulan“ ergänzt werden, kommen große Franchise wie „Star Wars“ und das Marvel-Universum dazu. Neben den mehr als 20 Superhelden-Filmen gibt es bereits jetzt einige Serien-Ableger, die sich bei Disney noch weiter vermehren sollen. Gleiches gilt für die „Star Wars“-Welt, die neben neuen Kinofilmen auch mit weiteren Serien bei Disney erweitert werden soll. Allein diese beiden Titel würden ein Abo für Fans schon lohnenswert machen.
Weitere namhafte Inhalte kommen vom Unterhaltungskonzern 21st Century Fox, an dem Disney erst vor einigen Monaten für satte 71 Milliarden Dollar große Teile übernommen hat. Die „X-Men“, die bunte Welt aus „Avatar“ oder auch die Kultserie „Die Simpsons“ werden damit wohl – samt aller noch folgender Fortsetzungen – über kurz oder lang Teil von Disney + werden.
Die Weichen dafür stellt Disney schon seit längerer Zeit, denn der Mäusekonzern zieht bereits nach und nach seine Inhalte von den anderen Plattformen ab. Schon in wenigen Tagen wird zum Beispiel die Realverfilmung von „Die Schöne und das Biest“ mit Emma Watson in der Hauptrolle bei Netflix verschwinden. Die übrigen Disney-Inhalte werden peu a peu folgen.
Disney betritt damit den internationalen Streaming-Markt mit einer Schlagkraft, die eigentlich kein Konkurrent aufbringen kann. Hinzu kommt ein zweites wichtiges Argument: der Preis. Mit gerade mal 6,99 Dollar pro Monat hat Disney einen echten Kampfpreis ausgerufen, der um ganze zwei Dollar unter dem von Platzhirsch Netflix liegt.
Mit diesem Aufgebot kann sich der Mäuse-Konzern eigentlich entspannt zurücklehnen und dem Markt-Eintritt gelassen entgegenblicken. Der Konkurrenz dagegen dürfte der 12. November schwer im Magen liegen, denn sie müssen die Lücken füllen, die der Abzug der Disney-Titel zweifellos hinterlassen wird – und das möglichst mit eigenen Inhalten, der Exklusivität willen. So oder so wird Disney + den Markt erschüttern und vielleicht auch neue Weichen für seine Zukunft stellen.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es zumindest für Netflix-Kunden aber: Der Abzug der Disney-Inhalte wird nicht von Dauer sein. Wie „Bloomberg“ vor einigen Wochen berichtete, sollen alle zwischen 2016 und 2018 veröffentlichten Filme ab 2026 wieder bei Netflix verfügbar werden. Zudem werden auch noch einige populäre Serien wie „Greys Anatomy“ länger als 2019 bei Netflix bleiben, um die geschlossenen Lizenz-Verträge zu erfüllen. [Ein Kommentar von Frances Schlesier]
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