Nicht nur die Heizung lässt sich aus der Ferne mit dem Smartphone steuern. Der Smart-Faktor zieht auch in andere Branchen ein. So hat das Geschäft mit der Erotik einige Neuheiten für sich entdeckt.
Eine große Fabriketage im Berliner Wedding, hell und durchdesignt, ein Mops sitzt herum, mitten im Raum hängt eine Schaukel. Was dieses Start-up-Office von den vielen anderen in der Hauptstadt unterscheidet: Die Mitarbeiter entwickeln keine Musik-Streaming-Dienste oder Online-Games – hier geht es um Sex.
Amorelie verkauft Vibratoren, Liebeskugeln, leichtes Bondagezubehör und Dessous – Lovetoys nennt das Team um Gründerin Lea-Sophie Cramer die Produkte liebevoll. Das Start-up gehört zu einem noch kleinen Kreis von jungen Unternehmen, die eine Branche revolutionieren, deren Bild jahrzehntelang vor allem durch schmuddelige Videokabinen in zwielichtigen Läden geprägt war.
„Unsere Zielgruppe sind wir selbst“, sagt die 29-jährige Amorelie-Chefin Cramer. „Frauen, Männer und Paare meiner Generation, die von den klassischen Händlern in ihrer Produktauswahl und ihrem Marketing vergessen wurden.“ Was Amorelie anders macht? „Wir erklären etwa den Unterschied zwischen Vibrator und Dildo“, sagt Cramer. Viele Kunden schrecke es zudem ab, wenn ein Vibrator einem echten männlichen Geschlecht nachempfunden sei. Die online verkauften Produkte sind pink, lila oder hellblau.
Während Amorelie die Produkte zunächst nur verkauft, gehen andere Gründer in den Herstellungsprozess und verbinden Erotik mit Elektronik. Das Londoner Sex-Technologie-Start-up Mystery Vibe etwa hat einen über eine App steuerbaren Vibrator herausgebracht. Für Cramer liegt darin die Zukunft: „Produkte, die über Wlan miteinander kommunizieren und zwei Menschen auch von Paris nach New York miteinander verbinden können.“
Während sich die Pornoindustrie überwiegend an den Vorlieben des Mannes orientiert, spricht Amorelie gezielt Frauen und Paare an. Rund vier Jahre, nachdem das Unternehmen von Cramer und ihrem Geschäftspartner Sebastian Pollok gegründet wurde, liegen die Umsätze im zweistelligen Millionenbereich.
Kenner sehen großes Potenzial in dem Geschäft, das die sexuelle Lust neu justiert. „Wir reden über die Branche mit dem größten Traffic im Internet und sehr relevanten Umsätzen“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands Deutsche Startups, Florian Nöll. „Sie schafft Arbeitsplätze und kommt immer mehr aus der Schmuddelecke heraus.“ Der Markt biete durchaus noch viel Platz für andere Anbieter. „An das Thema trauen sich meiner Einschätzung nach aber wenige ran“, sagt Nöll. Er sieht eine „moralische Eintrittsbarriere“.
Von Schwierigkeiten berichtete vor einigen Wochen auch die in New York lebende Macherin der Website „MakeLoveNotPorn“, Cindy Gallop. Es sei wahnsinnig schwer, für ein Sex-Start-up Geld bei Banken oder Investoren zu sammeln. Ihr Schmuddelimage legt die Branche scheinbar nur sehr langsam ab. Berlin mit seiner liberalen Atmosphäre und seinem gut entwickelten Öko-Start-up-System könnte aber vielleicht zum Zentrum der Sex-Technologieunternehmen werden.
Bei Gründern löst die Bezeichnung „Sex-Unternehmen“ dagegen eher Unbehagen aus. Pia Poppenreiter möchte explizit nicht, dass ihre App mit Sex in Verbindung gebracht wird. Ohlala vermittelt bezahlte Dates. Das funktioniert so: Männer beschreiben, was sie wann suchen und wie viel Geld sie dafür bezahlen möchten. Interessierte Frauen können sich daraufhin binnen 21 Minuten vorstellen, der Mann wählt aus. „Wir wissen nicht, was während eines Dates passiert“, erklärt Poppenreiter. Das bleibe privat.
Amorelie-Gründerin Cramer verortet ihr Start-up im Bereich Lifestyle und Schönheit. „Wir sind eine Plattform für alles, was intim, sinnlich und körperlich ist“, sagt sie. „Für uns ist Sexualität nicht das eine herausragende Element, sondern ein ganz normaler Baustein in unserem Leben.“ Diese Offenheit habe geholfen, unproblematisch Investoren zu finden und Amorelie nach nur zwei Jahren mehrheitlich an den Medienkonzern ProSiebenSat.1 zu verkaufen.
Für die Gründer von Einhorn kommt ein schneller Exit nicht in Frage. Die Berliner Kondomhersteller haben es sich auf die Fahne geschrieben, 50 Prozent ihrer Gewinne zu reinvestieren – in soziale und nachhaltige Projekte wie einen natur- und tierfreundlichen Kautschukanbau. Außerdem sollen die Arbeitsbedingungen und Löhne aller an der Wertschöpfungskette Beteiligten verbessert werden. Die Kondome bestehen aus Naturkautschuk – und sind vegan. Sind das nicht alle Kondome? Nach Angaben von Einhorn geben manche andere Hersteller ein Milchprotein als Weichmacher dazu.
Ähnlich wie die Amorelie-Gründer haben auch die Einhorn-Macher den Anspruch, ihr Produkt aus einer schambehafteten Nische zu holen. „In den Supermarktregalen stehen die Kondome meist irgendwo zwischen Tampons, Waschmittel und Klopapier“, sagt Gründer Philip Siefer. „Dabei soll Sex doch etwas sein, was nicht schmuddelig ist.“ Die klassischen Kondome steckten außerdem in Verpackungen, die Zigarettenschachteln ähneln. Einhorn verkauft seine Kondome daher in kleinen Tüten mit lustigem Design, etwa aufgedruckten Pommes. [Sarah Lena Grahn/kw]
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