„Bioshock Infinite“ erzielte internationale die höchsten Bewertungen, die ein Videospiel in der jüngsten Vergangenheit erreichte. Doch zumindest in der Konsolenfassung wird das Spiel der hohen Erwartungshaltung nicht ganz gerecht. Warum, verrät unser Test.
„Bioshock Infinite“ war jahrelang in Entwicklung und wurde mehrfach verschoben, eigentlich beste Vorzeichen, für ein ausgefeiltes Gameplay. Doch gerade spielerisch hapert es an allen Ecken und Enden. Im Kern ist „Bioshock Infinite“ ein Egoshooter, also jenes Genre, das in letzter Zeit nicht gerade durch Innovationen auf sich aufmerksam machte, siehe „Call Of Duty“, „Battlefield“, „Halo“ oder „Crysis“. Im Gegensatz zu diesen Titeln setzt „Bioshock Infinite“ nicht nur auf pure Waffengewalt, sondern auch auf magische Kräfte, sodass Sie Feuerbälle schleudern, Blitze entzünden oder den Willen der Gegner brechen können. Schnell wird in „Bioshock Infinite“ jedoch klar, dass die Balance zwischen Waffen und Kräften nicht harmonisch verläuft, denn mehr als ein netter Zusatz sind die Kräfte nicht und von den mannigfaltigen Verbesserungsoptionen des ersten „Bioshock“ blieb nicht mehr viel übrig.Spielablauf vereinfacht
„Bioshock Infinite“ fühlt sich simpler als der Vorgänger an und entzieht dem Spieler viele Möglichkeiten, die Figur nach eigenen Vorstellungen aufzubauen – am Ende richten es immer die in den Levels verstreuten Waffen sowie die Automaten, die für Munitionsnachschub sorgen. Auch die Levelkonstruktion sorgt für Kritik: Häufig werden Sie von weit entfernten Gegnern beschossen und können nicht einschätzen, aus welcher Richtung der Kugelhagel auf Sie einprasselt. Durch das Schienensystem entwickelt das Spiel eine 360-Grad-Dynamik, unter der die Übersicht oftmals flöten geht. Umgekehrt sind einige Abschnitte derart beengt, dass Sie keine Chance haben, den übertriebenen Gegnermassen auszuweichen – hier sichert nur noch blindes Draufhalten mit Schrotflinte und Raketenwerfer das eigene Überleben.Ballern in Dauerschleife
Apropos Gegnermasse: „Bioshock Infinite“ mag nicht schwer sein, da es nahezu unmöglich ist, zu sterben, aber es ermüdet. Warum nach einer Gegnerwelle im gleichen Spielabschnitt drei, vier weitere folgen, ohne spielerische Abwechslung zu bieten, bleibt das Geheimnis der Entwickler. Trotz kurzer Spielzeit ziehen sich viele Abschnitte wie ein Kaugummi und Spannung oder Dramatik entsteht während der Schusswechsel so gut wie nie. Schuld daran ist die fehlende Dynamik: In den ersten Spieldemos waren noch Sequenzen enthalten, in denen Ihre Begleitung Elizabeth durch eigene Kräfte aktiv in das Spielgeschehen eingriff – nichts davon findet sich in der finalen Version von „Bioshock Infinite“. Elizabeth rennt einfach nur neben Ihnen her und versorgt Sie mit Lebensenergie und Munition – ein monotoner Spielablauf ist die Folge. Risse im Raum-Zeit-Gefüge nutzt Elizabeth, um nützliche Dinge in die Welt zu holen, dabei handelt es sich aber um festgelegte Elemente, die nur an exakt dieser Stelle hervorgezaubert werden können. Die Option, diese Elemente zu nutzen oder nicht, ist im eigentlichen Sinne keine Option. Hier gefiel uns die Levelkonstruktion des ersten „Bioshock“ oder der Spielablauf von „Dishonored“ besser, denn die Spiele fühlten sich wie kleine Puzzles an, die verschiedene Lösungsmöglichkeiten eröffneten. „Bioshock Infinite“ ist im Vergleich ein geradliniger Shooter, dessen Level ohne echte Höhepunkte auskommen.Auf PC besser
„Bioshock Infinite“ fühlt sich wie ein PC-Shooter an, der einfach nur für PS3 und Xbox 360 umgesetzt wurde. Die Grafik wirkt deutlich matschiger, was dazu führt, dass weit entfernte Gegner schlechter erkennbar sind – gerade Auseinandersetzungen mit Scharfschützen oder wilder Raketenbeschuss frustrieren. Auf dem PC ist die Optik knackscharf, die Nähe zum Monitor bedingt eine wesentlich bessere Übersicht. Zudem ist die Steuerung mit dem Controller zu ungenau trotz Zielhilfe. Auf dem PC stellen die Gegnermassen dank punktgenauer Kopfschüsse eine harmlose Lemmingarmee dar, auf der Konsole verkommt das Geschehen schnell zum unübersichtlichem Chaos. Schmerzhaft vermisst haben wir ebenfalls ein vernünftiges Deckungssystem: Wer Third-Person-Spiele wie „Gears Of War“ oder „Uncharted“ gespielt hat, wird mit „Bioshock Infinite“ seine liebe Mühe haben. Allerdings haben Titel wie „Killzone“ bewiesen, dass das Deckungssystem auch in der Ego-Perspektive funktionieren kann. Kurzum: Ein exzellentes Spielgefühl vermittelt „Bioshock Infinite“ bis zum Ende nicht und wo es der erste Teil noch erlaubte, durch Plasmide übermenschliche Kräfte zu entfachen, verpuffen die Kräfte in „Bioshock Infinite“ inmitten der Gegnermassen zur reinen optischen Abwechslung.Atmosphärischer Traum
Alle Kritik am Spielablauf ist schnell hinfällig, wenn man in die Welt von „Bioshock Infinite“ abtaucht. Mit welch verschwenderischer Detailgenauigkeit die Designer die fliegende Stadt Columbia in Szene setzen, ist schlichtweg atemberaubend. Natürlich ist vieles nur Fassade, wer z.B. ein paar Minuten an einer Stelle verweilt, hört und sieht die gleichen Sequenzen in Dauerschleife, doch das Umherwandern in der Bilderbuchstadt macht einfach nur Spaß, selbst wenn sie zunehmend in den Feuern des Krieges untergeht. Auch in den Zwischensequenzen, die nahtlos in die Spielsequenzen übergehen, zieht „Bioshock Infinite“ alle Register: Elizabeth wächst einem während des Spiels richtig ans Herz, ist sie einmal nicht mehr da, entsteht eine emotionale Leere. Außerdem mixt „Bioshock Infinite“ geschichtliche und gesellschaftliche Themen gekonnt mit der Science-Fiction-Spielwert, was die Glaubwürdigkeit umso mehr steigert. Und dann ist da ja noch der Schluss …Grandioses Finale
Der Name Bioshock Infinite deutet bereits an, dass sich hinter der Geschichte um den Leuchtturm und das Utopia einer vollkommenen Stadt mehr versteckt, als ein gewöhnliches 08/15-Abenteuer. Während des Spiels bekommen Sie lose Fragmente vorgesetzt, die schlüssig bleiben, solange Sie die im Spiel verteilten Audiofiles wiedergeben und sich nicht zu schade sind, in die vielen Schaukästen zu blicken. Echte Antworten erhalten Sie aber erst am Schlusspunkt des Spiels, der trotz beachtlicher Länge gänzlich ohne Schusswechsel auskommt. Hier spinnt Entwickler Irrational Games eine gewaltige Science-Fiction-Geschichte, in der die handelnden Hauptpersonen Booker DeWitt sowie die Begleitung Elizabeth nur zwei handelnde Akteure von vielen sind. So wird z.B. beantwortet, was es mit den Leuchttürmen auf sich hat, auch ein Wiedersehen mit Rapture, der versunkenen Stadt des ersten Teils, ist mit inbegriffen. Der nahezu identische Ablauf von „Bioshock“ und „Bioshock Infinite“ ist beileibe kein Zufall, sondern es besteht eine Verbindung zwischen den Geschehnissen beider Titel. Auch können Spieler, die beide Titel gespielt haben, eins uns eins zusammenzählen: Die Hauptcharaktere, die Gegenspieler, die Big Daddys und der Songbird sowie die kleinen Mädchen und Elizabeth teilen ein und dasselbe Schicksal. Die Risse im Raum-Zeit-Gefüge sind gleichzeitig die Erklärung für parallel ablaufende Realitäten. Dadurch baut „Bioshock Infinite“ eine Matrix-ähnliche Tragweite auf, vermeidet es aber, die persönliche Handlung zu untergraben. Denn im Mittelpunkt steht immer die Beziehung von Booker DeWitt und Elizabeth. Wer den Schlusspunkt falsch interpretiert, wird vor allem die Tragik und Traurigkeit in der Geschichte sehen, wer dagegen die Credits abwartet und die finale Schlussnote richtig einordnet, wird mit einem positiven Gefühl belohnt. So oder so: Mit „Bioshock Infinite“ beantwortet Entwickler Irrational Games alle Fragen zum Thema „Bioshock“ und gibt tiefe Einblicke in den gewaltigen Science-Fiction-Unterbau. „Bioshock Infinite“ ist zugleich der Schlusspunkt einer ambitionierten Spielserie, denn ein nochmaliges Wiedersehen mit einer gänzlich neuen Stadt, die durch einen Leuchtturm betreten werden kann und einem Charakter, der die Grenzen seiner Existenz aufgezeigt bekommt, macht keinerlei Sinn, so gut die Geschichte auch inszeniert sein mag. Gerade dieser Mut, die gesamte Logik hinter „Bioshock“ zu offenbaren und es gleichzeitig zu schaffen, die Bindung zwischen Booker DeWitt und Elizabeth so stark herauszuarbeiten, dass der gesamte Science-Fiction-Rahmen nicht aufgesetzt wirkt, verdient allerhöchsten Respekt. Mit Fug und Recht darf behauptet werden, dass „Bioshock Infinite“ eine der besten Geschichten erzählt, die jemals in einem Videospiel präsentiert wurden.Das etwas andere Meisterwerk
„Bioshock Infinite“ ist wie die zwei Seiten einer Medaille, die Sie zu Beginn des Spiels werfen: Theoretisch gibt es die Möglichkeit, dieses Spiel aufgrund seiner fantastischen Inszenierung zu mögen oder es angesichts des monotonen Spielablaufs zu verfluchen. Am Ende landet die Münzen aber wie im Spiel selbst immer auf der gleichen Seite, ganz egal, wie oft Sie den Münzwurf wiederholen und für unsere Bewertung für „Bioshock Infinite“ bedeutet das: „Bioshock Infinite“ setzt derart hohe Maßstäbe aufseiten der Atmosphäre und Geschichte, dass man dieses Spiel wegen des Inhalts und nicht wegen des Gameplays lieben lernt. „Bioshock Infinite“ ist ein Pflichtkauf für jeden, der sich nicht zu schade ist, die Zeichen hinter der Shooter-Fassade entschlüsseln. Dann offenbart sich das überwältigende Gefühl, etwas von Bedeutung erlebt zu haben.
Bestellt werden kann „Bioshock Infinite“ unter anderem beim Online-Händler Amazon. Die PC-Version ist derzeit für 39,00 Euro erhältlich. Besitzer von Playstation 3 oder Xbox 360 müssen 47,90 Euro investieren. [Christian Trozinski]
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