In Berlin finden sich aktuell Programmierer, Web-Designer und Co. zum „Refugee Hackathon“ zusammen, um ein soziales Netzwerk für Flüchtlinge aufzubauen. Dabei steht die Entwicklung spezieller Apps im Vordergrund.
Das Smartphone war sein wichtigster Begleiter. Wochenlang war Hekmat auf der Flucht. 1100 Dollar zahlte der junge Syrer den Schleppern für die kurze Überfahrt von der türkischen Küste auf die griechische Insel Lesbos. Station in einem völlig überfüllten Auffanglager, später die beschwerliche Tour durch den Balkan nach Österreich und schließlich die lang ersehnte Ankunft in Deutschland. „Ohne mein Smartphone hätte ich das nicht geschafft. Das ist auf der Flucht genauso wichtig, wie das Essen.“
Seit drei Wochen ist Hekat in Deutschland, die Tortur sieht man ihm nicht an. Am Freitag sitzt er bei der Eröffnungsveranstaltung des „Refugee Hackathons“ in Berlin. Gemeinsam mit 300 Freiwilligen wird sich der Designer am Wochenende wohl die Nacht um die Ohren schlagen, um Apps für Flüchtlinge und deren Unterstützer zu entwickeln. Dabei sollen auch bereits bestehende Projekte optimiert werden. Nach dem „Hackathon“ werden die Ergebnisse als Open-Source-Lösung auf einer Plattform der Öffentlichkeit frei zur Verfügung gestellt.
„Wir wollen digitale Lösungen für die aktuelle Probleme finden“ sagte Anke Domscheit-Berg, Initiatorin der dreitägigen Veranstaltung. Sie habe noch von keinem „Refugee Hackathon“ gehört, der annähernd diese Größe erreicht hat. „Das zeigt, dass Deutschland – auch was die digitalen Freiwilligen betrifft – eine Sonderrolle einnimmt.“
Zwar gebe schon jede Menge interessante Apps und Anwendungen, aber manche gingen am Bedarf der Flüchtlinge vorbei. „Es fehlt an einer Vernetzung von Individuum zu Individuum“, sagt die Netzaktivistin. Egal, ob es um Sachgüter, Zimmer oder Sprachkurse gehe. „Man kann womöglich nicht die eierlegende Wollmilchsau in eine App packen aber man kann da noch ganz viel verbessern.“
Ähnlich sehen es Maryna (23) und Yolanda (22). Die beiden BWL-Studentinnen haben die Seite „home4refugees.org“ ins Leben gerufen, die in vier Monaten an den Start gehen soll. Ziel ist, Wohnraum direkt zwischen Interessenten und Anbietern zu vermittelt. „Das ist eine Art „WG-Gesucht“ für Flüchtlinge“, erklären sie. Das Problem der bestehenden Initiativen sei, dass die Vermittlung nicht direkt laufe, sondern sehr bürokratisch über Dritte, wodurch viel Zeit verloren gehe.
Die zwei wollen ihr Portal am Wochenende verfeinern, ebenso wie Moritz (30) aus Leipzig. Der Web-Entwickler hat vor einem Monat die Plattform „ankommen.eu“ freigeschaltet. „Möbel und Nützliches für Geflüchtete“ lautet der Slogan der Seite. 230 Anbieter haben bereits ihre Spenden online gestellt. Die Seite ist in feste Kategorien aufgebaut, so dass die Angebote automatisch in 13 Sprachen übersetzt werden. „Der „Hackathon“ ist super“, um sich mit anderen Aktivisten, Experten und Interessenten zu vernetzen und um Ressourcen zu bündeln.
Wie wichtig technische Anwendungen sind, zeigt die aktuelle Flüchtlingsbewegung als erste digital gesteurte Völkerwanderung. Einige Syrer verwenden die App „Gherbetna“ („Unser Heimweh“), die ihnen praktische Infos liefert und über die sie Flüchtlinge in ihrer Nähe orten können. Über geschlossene WhatsApp- und Facebook-Gruppen nehmen sie Kontakt zu Schleusern auf. Per Google Maps bahnen sie sich ihren Weg nach Westeuropa.
Und auch hier sind die Menschen auf digitale Hilfe angewiesen – oder möchten sie diese direkt mit entwickeln. „Sie wollen nicht nur als die Flüchtlinge wahrgenommen werden, die Hunger haben und ein trockenes Dach brauchen“, erklärt Domscheit-Berg. „Sie sind Menschen mit professionellen Kompetenzen, die sie auch einbringen wollen.“
„Ich mag das Wort Flüchtling nicht, da es stigmatisiert“, sagt Kiro. Vor 18 Monaten kam der Ägypter nach Deutschland. Sein Asylverfahren hat noch nicht einmal richtig begonnen, dafür spricht der 22-Jährige inzwischen fast fehlerfrei Deutsch. Zum Hackathon ist er gekommen, um von seinen Erlebnissen zu erzählen.
Mit Hilfe der Erfahrungsberichte der Flüchtlinge wollen die Entwickler ihre Apps und Anwendungen noch gezielter auf die Bedürfnisse abstimmen. Bei all der technischen Details dürfe man aber das Zwischenmenschliche nicht vergessen, sagt Kiro. „Für mich sind Respekt und Toleranz wichtiger als Apps.“[Jenny Tobien/fs]
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