Seit über 60 Jahren begleitet das Sandmännchen Deutschlands Kinder ins Bett. Immer wieder flimmern auch alte Folgen aus DDR-Zeiten über den Bildschirm – in erstaunlich guter Bildqualität. Wir haben nachgefragt, wie das technisch umgesetzt wird.
Mit mehreren Screenshots im Anhang meldet sich DIGITAL-FERNSEHEN-Leser Johannes Thiede bei der DF-Redaktion. Zu sehen sind Standbilder aus einer Sandmännchen-Folge, bei denen Pittliplatsch und Schnatterinchen wahrscheinlich wieder einmal eine ihrer vielen Diskussionen führen. Auch Moppi darf natürlich nicht fehlen. Das beliebte Trio hat mit über 500 gemeinsamen Abendgrußgeschichten schon Generationen von Kindern ins Bett begleitet. Bei genauerem Hinsehen stellen wir fest: Die gleiche Szene auf den Bildern sieht unterschiedlich aus – obwohl beide bei „MDR HD“ aufgezeichnet wurden. Links „rauschende“ SD-Qualität wie immer und rechts so scharf, als wäre die Jahrzehnte alte Folge eben erst in HDTV-Qualität gedreht. Die Lösung ist schnell gefunden: Der linke Screenshot stammt vom 30. April 2017, der rechte ist aktuell vom 15. März. Wie kann das sein, fragt uns Herr Thiede. Werden jetzt alle alten Folgen restauriert?
Rahmen und Abendgruß
Die Antwort bekommen wir von Nina Paysen, die beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) in der Abteilung „Familie und Kinder“ für den Sandmann zuständig ist und damit auch die Ausstrahlungen im MDR und Kinderkanal plant. Vorab stellt sie erst einmal klar, dass jede Sandmann-Sendung aus zwei Teilen besteht. Im so genannten „Rahmen“ findet die Rahmenhandlung statt, bei der unser Sandmännchen die Kinder besucht und nach dem nun „Freunde-Geschichte“ genannten „Abendgruß“ mit Pitti, kleinem König oder Kalli wieder nach Hause geht, fährt oder fliegt.
Seine Fernsehpremiere hatte das Sandmännchen schon am am 22. November 1959. Regisseur, Autor, Puppen- und Szenenbildner Gerhard Behrendt gestaltete die Figur im Auftrag des Deutschen Fernsehfunks (DFF). Viele Moden, Trends und Sehgewohnheiten haben sich seitdem verändert, aber das Sandmännchen ist immer noch da.
„Die tägliche Sandmann-Sendung setzt sich aus ständig wechselnden, sich selten wiederholenden Kombinationen von Sandmann-Rahmen und Freunde-Geschichten zusammen,“ erklärt Paysen. „Diese Sendungen werden von der Redaktion monatlich geplant und im RBB von einem Cutter oder einer Cutterin geschnitten.“ Während die Sendungen früher noch physisch auf Bändern zum Schnittplatz geliefert und dort geschnitten wurden, setzt man seit geraumer Zeit auf den digitalen Bildschnitt. Seit vier Jahren wird das ehemals auf Bändern gedrehte und archivierte Material nun digitalisiert und archiviert. „Bei jeder neuen Konfektionierung von bisher unbearbeiteten Sandmann-Geschichten werden diese technisch korrigiert – vor allem auf der Farbebene. Durch die sich ständig verbessernde Technik wurden die Bearbeitungen in den letzten vier Jahren kontinuierlich immer hochwertiger,“ erklärt Nina Paysen stolz und fügt hinzu: „Wir freuen uns sehr, wenn das auch unseren Zuschauerinnen und Zuschauern positiv auffällt.“
HDTV-Pittiplatsch
Mit Bildbearbeitung und Farbkorrektur wird aber noch lange nicht aus SD-Bändern astreines HDTV-Material. Hier greift die Redaktion ganz tief ins Archiv. Bei sehr alten „Rahmen“ oder bei den alten Geschichten von Fuchs und Elster, Pittiplatsch oder Plumps wird auf Material aus dem Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) in Potsdam zurückgegriffen. Das hat den Vorteil, dass es sich um das analoge Ausgangsmaterial (35mm-Film) handelt, welches nicht schon diverse Male bearbeitet wurde, sondern digital abgetastet werden kann. „Ein sehr großer Teil des alten Bestands ist mittlerweile bearbeitet,“ erklärt Paysen. „In absehbarer Zeit werden wir vermutlich unser gesamtes Archiv mit insgesamt ca. 400 ‚Rahmen‘ und zahlreichen Freunde-Geschichten in digitaler und bearbeiteter Form vorliegen haben.“ Diese Qualität ist übrigens auch notwendig, damit der Sandmann in HD erstrahlen kann und HbbTV-tauglich ist.
Für technikinteressierte Leser gibt es damit eine gute Erklärung, warum immer mal um 18.55 Uhr bei RBB oder MDR das Sandmännchen eingeschaltet wird: Es sind rein technische Gründe – wir müssen halt mal die Bildqualität aktuell beurteilen. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, wie unser Leser Herr Thiede zu seiner Entdeckung kam: „Ganz einfach, ich interessiere mich vor allem für Sandmännchen-Filme aus der DDR-Zeit mit Pittiplatsch sowie Fuchs und Elster und zeichne sie oft zum zeitversetzten Sehen auf. Besonders originelle lösche ich dann einfach nicht. So haben sich bestimmt ein paar Dutzend angesammelt.“ Wir finden: Das ist ein schönes Hobby!
Die Geschichte des Sandmännchen
Am 22. November 1959 hatte „Unser Sandmännchen“ seinen ersten Auftritt auf ostdeutschen Bildschirmen. Die Fernsehmacher in Berlin-Adlershof hatten damit einen Wettlauf gewonnen: Wenige Wochen zuvor war bekannt geworden, dass der SFB ein „Sandmännchen“ produzieren will. Mit aufwendiger Tricktechnik wurde die erste Folge gedreht. Um sich vom Westen abzugrenzen, nannte man die neue Reihe „Unser Sandmännchen“.
Literarischer „Vorgänger“ ist der „Sandmann“ aus dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. Dort hieß der Kobold eigentlich „Ole Lukøje“, was mit „Ole Augenschließer“ übersetzt werden kann. „Unser Sandmännchen“ ist ein wahres Stehaufmännchen und lässt sich nicht vom Bildschirm verdrängen. Es kam auch nach dem letzten Sendetag des Deutschen Fernsehfunks, dem 31. Dezember 1991, zuverlässig jeden Abend. In den vergangenen 60 Jahren gab es nur wenige Abende ohne Schlafsand. Das war an den Todestagen des ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl (21.9.1964) und des Vize-Staatsratsvorsitzenden Johannes Dieckmann (22.2.1969). Selbst am Abend des Mauerfalls (9.11.1989) brachte das Sandmännchen die Kleinen zu Bett.
Dieser Artikel erschien zuerst in DIGITAL FERNSEHEN Ausgabe 5/2020
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Bildquelle:
- Pittiplatsch_restauriert_2: Screenshots Johannes Thiede
- Pittiplatsch_restauriert_5: Screenshots Johannes Thiede
- Unser_Sandmaennchen: © RBB
- Sandmann-RBB: @ RBB