Der gläserne Smart-TV-Zuschauer: Die Schattenseiten des werbefinanzierten Internetfernsehens (DF-Tech)

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Spy TV
© Maksim Kabakou - stock.adobe.com

Internetinhalte kostenlos zu streamen ist kein neuer Trend, doch angesichts steigender Kosten für bezahlpflichtige Abos wachsen die vergleichsweise jungen werbefinanzierten Streaming-Anbieter mit enormer Geschwindigkeit und überholen damit viele Streaming-Pioniere, die vorrangig auf klassische Abo-Bezahlmodelle setzen.

Im Mittelpunkt des neuen CDD-Reports (Center for Digital Democracy) stehen die jüngsten Entwicklungen rund um Smart-TV-Anwendungen. Stetiges Online-Wachstum kann beispielsweise der Streaming-Anbieter Tubi verzeichnen, der als amerikanische Web-Content-Plattform werbefinanziertes Streaming-Fernsehen kostenlos anbietet. Innerhalb von 10 Jahren stieg die Nutzerzahl auf aktuell knapp 78 Millionen. 

Tubi Smart TV
Bildquelle: tubi

Laut einem aktuellen Bericht ist Tubi „in vielerlei Hinsicht das Gesicht des Connected-TV geworden, das in den USA die vorherrschende Art des Fernsehempfangs darstellt. Der kostenlose Videodienst hat bereits 270 FAST-Kanäle (Free Advertising-Supported TV) geschaffen.“

Kritisiert wird im Bericht vor allem die Vermarktungsstrategie von Tubi: „Das grundlegende Geschäftsmodell von Tubi basiert darauf, umfangreiche und detaillierte Informationen von seinen Zuschauern zu sammeln. Tubi verspreche Werbetreibenden Zugang zu Milliarden von Datenzeilen seiner Kunden, die auf deren Sehverhalten basieren.“

Tubi arbeite mit Datenbroker und Ad Tech-Player zusammen, um ein datengesteuertes und personalisiertes Zielgruppenmarketing zu ermöglichen. Die Datentechnikabteilung von Tubi soll laut Bericht stetig daran arbeiten, jeden Aspekt der Benutzererfahrung zu personalisieren und Tubi setze dabei auf AI-Lösungen, um die Arbeitsabläufe immer weiter zu optimieren.

Vom Regen in die Traufe

Zu Beginn des Streaming-Zeitalters setzten die Inhalteanbieter auf klassische bezahlpflichtige Abonnements und boten damit eine meist werbefreie Bühne für individuelle Originalinhalte. Aktuelle Weiterentwicklungen setzen hingegen verstärkt auf einen werbefinanzierten freien Streaming-Zugang, der durch FAST-Kanäle noch beschleunigt wird.

tubi FAST Channels
Bildquelle: tubi

Free Advertiser-Supported Television ist mittlerweile gängige Praxis und auch Flachbild-TV-Anbieter setzen verstärkt auf eine Integration von FAST-Channels, um die eigene Smart-TV-Plattform für Werbetreibende attraktiver zu gestalten. 

„CTV-Netzwerke und Programmanbieter haben weitreichende Aktivitäten und Partnerschaften aufgebaut, um die Datenerfassung zu maximieren und so die Interessen der Werbetreibenden zu bedienen.“

„Durch Big-Data- und Werbesysteme werden Nutzer-spezifische Streaming-Aktivitäten von Millionen Haushalten und Geräten angehäuft. Diese lassen sich wiederum gezielt für Werbung ansteuern.“

Werbung ist plötzlich allgegenwärtig und nicht nur innerhalb einiger Apps vertreten. Selbst der ganz normale Smart-TV-Homescreen wird bei einer aktiven Internetverbindung zur XXL-Werbefläche.

Werbetreibende können ebenfalls TV-relevante Funktionen wie den Kanalführer sponsern, damit ihre Anzeigen automatisch abgespielt werden. Dies kann wiederum die Entscheidung über die Kanalauswahl beeinflussen.

Besonders kritisch wird im neuen Bericht der Datenumgang bei der Smart-TV-Vermarktung angeprangert: „Sogenannte First-Party-Daten sind Informationen, die eine Website, App oder ein anderes Unternehmen von seinen Benutzern sammelt, zu denen es eine direkte Beziehung hat. Diese Daten werden über ein „Opt-in“-System erfasst, bei dem die Verbraucher der Erfassung und Verwendung zustimmen.“

„Beim Streaming-Fernsehen kann die Zustimmung ganz einfach als Voraussetzung für die Anmeldung zum Dienst eingeholt werden. Informationen über das Seh-, Einkaufs- und andere Verhalten einer Person werden dann zum Normfall. In den meisten dieser Fälle sind sich die Zuschauer überhaupt nicht bewusst, welche Informationen gesammelt werden oder wie sie verwendet werden.“

Pixel als personalisierte Erkennungs-ID

„Eines der wichtigsten Überwachungstools ist die automatische Inhaltserkennung (Automatic Content Recognition, ACR). Dabei handelt es sich um eine Softwaretechnologie, die die auf dem Bildschirm angezeigten Inhalte und Werbungen verfolgt und analysiert.“

Zu den wichtigsten Unternehmen weltweit, die sich auf die Datenanalyse spezialisiert haben, gehört Alphonso. Der Anbieter sieht sich selbst als Schnittstelle zwischen Fernsehmedien, maschinellem Lernen und Big-Data-Analysen.

Laut eigener Aussage verstehe Alphonso aufgrund der ACR-Technologie, die in zig Millionen Smart-TVs und TV-Chipsätzen integriert ist, welche Programme und Werbung Menschen im Fernsehen sehen.

Laut Alphonso nutzen Marken diese detaillierten Zielgruppendaten, um Werbekampagnen im linearen Fernsehen, Streaming-TV und im digitalen Fernsehen zu optimieren.

„ACR erfasst Pixel auf dem Bildschirm, um jedem Einzelbild einen Wert zuzuweisen, der in diesem Stadium als ‚unbekannter Fingerabdruck‘ gilt. Die Software sendet diese ‚Fingerabdrücke‘ dann an eine Datenbank, die die im Fernsehen verfügbaren Inhalte protokolliert, um eine bekannte Übereinstimmung zu finden und den Inhalt zu identifizieren. Sobald ACR die Sendung identifiziert hat, kann es diese Einschaltdaten einem bestimmten Haushalt zuordnen.“

„Das Connected-TV-Daten- und Ad-Tech-Unternehmen Samba TV nutzt KI, damit Marken die Wirkung ihrer Anzeigen auf allen Videoplattformen genau und schnell messen können. Die Marketingmaterialien des Smart-TV-Unternehmens Samba zeigen, in welchem Ausmaß die Personalisierung mittlerweile möglich ist.“

Samba TV
Bildquelle: Samba

„Die SambaID-basierte Identitätsplattform könne mit 90-prozentiger Genauigkeit enthüllen, welche Telefone, Tablets, PCs und Fernseher einer Person gehören. Dadurch entsteht ein System, das Werbetreibenden und Medienunternehmen eine einheitliche Sicht auf die gesamten Kundenkreise bietet, und zwar durch den Zugang zu 517 Millionen ansteuerbaren Geräten.“

Über Datenanalysen ferngesteuert

„Die großen Connected-TV-Unternehmen sind mittlerweile im Messgeschäft tätig, entwickeln ihre eigenen Systeme und arbeiten mit einer Phalanx spezialisierter Werbetechnologieunternehmen zusammen, die eine Vielzahl von Diensten anbieten.“

„Neben der Zählung der Gesamtzahl der Zuschauer und der Ermittlung ihrer demografischen Merkmale (Alter, geografischer Standort, Einkommen usw.) spielen Messunternehmen heute eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung des Programminhalts und der Werbung.“

„Da Connected-TV-Werbung mit dem Internetverlauf eines Zuschauers verknüpft ist, können die Anzeigen personalisierte Daten verwenden, um den Zuschauern eine spezielle Anzeigenausrichtung zu bieten.“

Alphonso Ad Service Data
Bildquelle: Alphonso

Selbst die Verknüpfung von Lebensmittel-Einkäufen ist mittlerweile möglich: Wer Werbebanner von Fast-Food-Lieferanten passend zum geplanten Filmmarathon erblickt oder Werbung vom Supermarkt seines Vertrauens erhält, sollte nicht an Zufälle glauben.

Die Streaming-Anbieter profitieren von einem allgemeinen Trend: Die meisten Zuschauer sehen fern und haben ein Zweitgerät wie ein Smartphone oder ein Tablet in Benutzung, das ebenfalls vernetzt ist.

„Zuschauer können ihre Lieblingsartikel kaufen, ohne das Seherlebnis zu unterbrechen. Personalisierte Produktempfehlungen erfolgen per Push-Benachrichtigung oder E-Mail an das Telefon einer Person, während auf dem Smart-TV der Streaming-Inhalt weiterläuft.“

„Connected-TV-Unternehmen bilden Allianzen mit Supermärkten und anderen Einzelhändlern und nutzen umfangreiche Online- und Offline-Datenquellen, darunter Fernseh- und Einkaufsverhalten, um leistungsstarke neue hybride Einzelhandelsmedienaktivitäten zu schmieden.“

Internet-Fernsehen: Eine neue Ära für Werbedienstleister

Der CDD-Report zeichnet ein düsteres Bild der aktuellen Smart-TV-Landschaft: „Die weitreichenden technologischen und geschäftlichen Entwicklungen der letzten fünf Jahre haben ein vernetztes Fernsehmedien- und Marketingsystem mit beispiellosen Möglichkeiten zur Überwachung und Manipulation geschaffen.“

„Einer der größten gesellschaftlichen Kosten dieses neuen Systems ist die Privatsphäre der Verbraucher. Der derzeitige selbstregulierende Ansatz zum Schutz der Privatsphäre vernetzter Fernsehzuschauer ist höchst unzureichend und umfasst eine Reihe von Zustimmungsmechanismen, die schwerfällig, abschreckend komplex und letztlich irreführend sind.“

„Folglich ist der Kauf eines Smart-TV-Geräts auf dem heutigen Markt für vernetzte Fernseher so, als würde man sich ein digitales Trojanisches Pferd ins Haus holen.“

Wer bereits heute über zu viel Werbung im Internet-TV-Zeitalter klagt, darf gespannt sein, wohin sich der Markt in den nächsten Jahren weiterentwickelt: Das goldene Zeitalter für Werbetreibende hat gerade erst begonnen.

Wer den gesamten CDD-Bericht auf über 40 Seiten nachlesen möchte, gelangt hier zur Quelle:https://democraticmedia.org/reports/how-tv-watches-us-commercial-surveillance-in-the-streaming-era

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