Vor zwanzig Jahren prophezeite Bill Gates auf der CeBIT vieles von dem, was heute für die meisten ganz selbstverständlich zum Alltag gehört. Doch in einem sollte er sich gründlich irren.
Der prominente Gast kam durch die Hintertür: Vor dem Eingang zum CeBIT-Gelände in Hannover warteten am 12. März 1995 Besucher der weltgrößten Computerschau in einer endlosen Schlange auf Bill Gates. Der damalige Microsoft-Boss wollte seine Vision vorstellen, wie sich die Informationstechnologie bis zum Jahr 2005 entwickeln wird. „Die ganze Messe stand Kopf. Alles war furchtbar geheim!“, erinnert sich Martina Lübon, damals CeBIT-Projektleiterin bei der Deutschen Messe AG. „Ich durfte Gates damals vom Helikopter abholen und über Schleichwege durch die Katakomben führen, weil niemand wissen sollte, wo er sich aufhält.“ Weil der Andrang so groß war, wurden in anderen Räumen Bildschirme platziert und die Rede live übertragen. „Das war ein ziemliches Abenteuer.“
Der damals 39 Jahre alte Microsoft-Chef legte in Hannover eine inzwischen legendär gewordene Videopräsentation auf. Gut fünf Monate vor dem wichtigsten Marktstart eines Produktes in der Geschichte von Microsoft, Windows 95, wollte Gates zeigen, wie sich seine Vision „Information at Your Fingertips“ in den kommenden zehn Jahren auf den digitalen Alltag auswirken wird.
In dem aufwändig produzierten Spielfilm zeigte Gates damals einen Kurzkrimi um einen Kunstschmuggel und seine rasante Aufklärung mit den wunderbaren Hilfsmitteln künftiger Kommunikation. Die Gegenspieler der Schmugglerbande, ein cleverer Schuljunge und seine Mutter, recherchierten in dem Film von der Küche aus im „Cyberspace“ alle Details zur präkolumbianischen Kunst und landeten schließlich in einem Museum mit virtuellen Picasso-Bildern auf Flachbildschirmen mit hoher Auflösung. Die Besatzung eines Krankenwagens konnte in dem Microsoft-Film noch während der Fahrt über eine Videoverbindung mit der Klinik kommunizieren, die Polizisten im Einsatzwagen verschafften sich schon unterwegs einen Überblick vom Tatort und steuerten den Einsatzcomputer mit Sprachbefehlen. „Sie werden sehen, in zehn Jahren wird sich diese Technik natürlich in unser Leben einfügen“, versprach Gates seinen Zuhörern.
Viele der Visionen sind heute tatsächlich Wirklichkeit geworden, auch wenn Microsoft es nicht immer gelang, selbst die entsprechenden Produkte kommerziell erfolgreich am Markt zu platzieren. Mit dem vernetzten Mini-PC in der Jackentasche aus dem Film beispielsweise verbinden heute viele Anwender eher Markennamen wie „iPhone“ von Apple oder „Android“ von Google als „Windows“ von Microsoft. Dabei hatte Gates nach 1995 mehrfach Anläufe unternommen, Pocket-PCs und Smartphones mit einem Microsoft-System am Markt zu etablieren. Und bei der im Film allgegenwärtigen Spracherkennung denken viele Computernutzer heute nicht unbedingt zuerst an Cortana, die aktuelle digitalen Sprachassistentin von Microsoft, sondern an die Konkurrenzdienste Siri von Apple oder Google Now.
Gates war aber vor 20 Jahren schon klar, dass Computer in der Zukunft mit Sprache gesteuert werden oder das herkömmliche Portemonnaie einer digitalen Geldbörse weichen wird. In einem Punkt lag der Microsoft-Gründer aber komplett daneben. Auf der CeBIT 1995 glaubte er noch, mit einem eigenen Microsoft Network dem Web Paroli bieten zu können. Erst einige Monate später erkannte Gates seinen fatalen Irrtum und befahl seinen Programmierern die Wende. Nur mit der umstrittenen Bündelung des Webbrowsers Internet Explorer mit dem Erfolgsprodukt Windows konnte Microsoft aufholen und den Vorsprung des Konkurrenten Netscape wieder wettmachen. [Christoph Dernbach/kw]
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