Ob im Wohn-, Arbeits- oder sonstigen Zimmern – überall finden sich Elektrogeräte. Das wird zu einem globalen Problem. Denn viel zu wenig wird recycelt. Auch in Deutschland.
Wer schon mal vor einem Kreuzfahrtschiff gestanden hat, der weiß: So ein Schiff ist verdammt groß. Und verdammt schwer. Es ist daher kein Zufall, dass die Autoren des „Globalen E-Schrott Monitors 2020“ – einer Bestandsaufnahme über das weltweite Problem mit Elektroschrott – genau diese Meeresgiganten als Vergleichsmaßstab heranziehen. Ihre Rechnung: Man bräuchte 350 Schiffe in der Größe des riesenhaften Dampfers „Queen Mary 2“, um all die ausrangierten Monitore, weggeworfenen Handys und entsorgten Kühlschränke aufzuwiegen, die die Menschheit im vergangenen Jahr produziert hat. Es ist eine gewaltige Zahl. Für ein gewaltiges Problem.
Der globale Berg an Elektroschrott wächst immer weiter. So stellt es der Bericht fest, der am Donnerstag veröffentlicht wurde und an dem unter anderem die Universität der Vereinten Nationen mitgeschrieben hat. 2019 seien 53,6 Millionen Tonnen zusammengekommen, was ein Wachstum von 21 Prozent innerhalb von fünf Jahren bedeute. Die Autoren bezeichnen es als Rekord. Und die Prognose sieht nicht anders aus: Im Jahr 2030 seien 74 Millionen Tonnen zu erwarten.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer ist ganz simpel: die technische Innovation. Hersteller denken sich immer neue Dinge aus, die das Leben erleichtern oder auch nur Spielerei sind. „Das ist der wackelnde Hund, das ist das elektrische Werkzeug für den Garten, das sind intelligente Kleidungsstücke, die den Puls messen“, sagt Rüdiger Kühr, einer der Mitautoren des Berichts. Ein anderer Grund: Ein größerer Teil der Weltbevölkerung habe mittlerweile die Möglichkeit, sich bestimmte Geräte zu leisten, so Kühr. Dass aus der großen Masse dann auch schnell viel Schrott wird, liegt an der mitunter kurzen Lebensdauer vieler Geräte. Hinzu kommt, dass es oft nur unter größten Mühen gelingt, sie bei einem Defekt zu reparieren.
Einen Zuwachs stellten die Experten unter anderem bei ausrangiertem Equipment fest, das zur Regulierung von Temperatur dient – also zum Beispiel bei Klimaanlagen und Kühlschränken (plus sieben Prozent im Vergleich zu 2014). Pro Kopf betrachtet führt Europa die Statistik an. 16,2 Kilogramm trug durchschnittlich jeder Europäer 2019 zum E-Schrott-Berg bei.
Das Problem ist dabei nicht unbedingt nur die Masse, sondern auch wie mit ihr umgegangen wird. Nach Berechnungen der UN-Experten wurden 2019 nur 17,4 Prozent des produzierten E-Schrotts eingesammelt und recycelt. Europa schneidet dabei mit einer Recycling-Quote von 42,5 Prozent noch am besten ab. Asien liegt an zweiter Stelle mit nur 11,7 Prozent. Afrika hat die niedrigste Quote mit 0,9 Prozent.
Einfach abgeladener E-Schrott kann aber zur Gefahr für Mensch und Umwelt werden – in ihm finden sich gefährliche Stoffe wie Quecksilber. Dementsprechend heißt es in dem Bericht, dass die Kombination aus immer mehr Schrott, niedriger Sammelquote und nicht-ökologischer Ablagerung „signifikante Risiken“ für Umwelt und Gesundheit bedeute. Zugleich werden immense Rohstoffe verschwendet. In den Geräten schlummern auch kostbare Materialien – ob Gold, Silber, Kupfer oder Platin. Der Materialwert des E-Schrott-Berges 2019 wird in dem Bericht mit 57 Milliarden US-Dollar beziffert.
Obwohl der Export kaputter Elektronik verboten ist, landet viel davon in Afrika. Das informelle Recyceln von E-Schrott ist mancherorts ein großes Geschäft, etwa in Agbogbloshie in der ghanaischen Hauptstadt Accra. Der Slum ist als größte E-Müllhalde Afrikas berüchtigt, ist aber eher ein gut funktionierender Schrottplatz. Tausende Menschen nehmen per Hand Geräte auseinander, entnehmen die wertvollen Materialien und verkaufen diese weiter.
Die Gefahren für die Umwelt und Gesundheit sind allerdings sehr hoch. Denn die meisten Menschen haben weder Schutzkleidung noch das richtige Werkzeug und Know-how, um die Geräte sicher zu verwerten. „Die Regierungen müssen die Bedingungen für die Arbeiter verbessern“, fordert daher Vanessa Forti von der Universität der Vereinten Nationen. Es benötige stärkere Regulierung und mehr Unterstützung in Form von Werkzeug und Training.
Auch in Deutschland gebe es noch Nachholbedarf, sagte Studien-Mitautor Kühr. „Die Deutschen rühmen sich ja gerne, Weltmeister in der Mülltrennung zu sein“, sagte er. Beim Elektroschrott sei man aber gar nicht so fortschrittlich. Zwar liege die Sammelquote geschätzt bei etwa 50 Prozent. Bürger könnten ihre Alt-Geräte zu Containern, in Fachmärkte und zu Recycling-Zentren bringen. Aber zu oft noch werde das nicht genutzt. Vieles wandere einfach so in die Tonne, anderes werde einfach irgendwo abgeladen. Stichwort: Die Waschmaschinen im Wald.
„Da fragt man sich: Warum wird so etwas überhaupt praktiziert? Das kann ja nur Ignoranz oder mangelndes Wissen sein“, so Kühr. Eine Lösung könnten stärkere Anreize sein, Geräte ordnungsgemäß wegzubringen. Zum Beispiel eine Ermäßigung auf ein neues Gerät, wenn man das alte abgibt. Kühr verwies darauf, dass es bereits ein Umdenken in anderen Umweltbereichen gegeben habe, etwa beim Plastikmüll. „Ich würde mir wünschen, dass das ähnlich auch für Elektroschrott alsbald passiert“, sagte er. „Weil wir sonst wirklich auf eine ganz große Krise zulaufen.“
[Jonas-Erik Schmidt und Gioia Forster]
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