Vor 30 Jahren: Moskau schreibt Weltraumgeschichte mit „Mir“

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Bild: © jim - Fotolia.com
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Am 19. Februar 1986 schoss Moskau die Raumstation „Mir“ ins All. Auch 30 Jahre später erweist sich die Raumstation als technische Großtat und als Mythos. Für die ISS leistete sie wertvolle Vorarbeit.

Am 19. Februar 1986 schoss Moskau die Raumstation „Mir“ ins All. Auch 30 Jahre später erweist sich die Raumstation als technische Großtat und als Mythos. Für die ISS leistete sie wertvolle Vorarbeit.  

Tragik und Triumph lagen in der Raumfahrt wohl nie so nahe beieinander wie vor 30 Jahren. Nur drei Wochen nach der „Challenger“-Katastrophe, als sieben US-Astronauten bei der Explosion ihres Space Shuttles starben, schoss die Sowjetunion am 19. Februar 1986 die Basis für die Raumstation „Mir“ ins All. Heute gilt der Forschungskomplex als technische Großtat – trotz erheblicher Mängel.

Von Baikonur aus startet zunächst eine Proton-Rakete mit dem mehr als 20 Tonnen schweren Modul in die Umlaufbahn. Die Betriebsdauer des „Nationalen Orbital-Komplexes“, wie das Himmelslabor im Jargon der Kommunistischen Partei heißt, ist auf sieben Jahre angelegt. Doch die „Mir“ bleibt 15 Jahre im All – und wird zum Mythos. „Wir stünden ohne diese Erfahrung noch am Anfang“, sagt der Astronaut Thomas Reiter.

Zwar leisten die sowjetische „Saljut“ (1971) und das US-amerikanische Skylab (1973) als Arbeitsplätze im All wichtige Pionierarbeit. Die Mir ist aber eine galaktische Premiere: Ein solch komplexes, für den Betrieb in der Schwerelosigkeit geschaffenes Gebilde hat es noch nicht gegeben. Die Idee von einem ständig bewohnten Koloss im Kosmos setzt sich in Moskau in den 1970er Jahren durch. Ansporn ist das Trauma, den Wettlauf zum Mond gegen die USA verloren zu haben.

Von nun an setzt die UdSSR verstärkt auf Vorposten im All, und die Mir wird zum Flaggschiff der sowjetischen Raumfahrt, zum „Roten Stern“ am Technikhimmel. Das Basismodul dient dabei als „fliegender Bauwagen“, von dem aus Kosmonauten die Mir erweitern. Bis 1996 folgen vier Module, ein Labor und vier Solar-Panels. Die Inneneinrichtung stammt aber gleichermaßen aus der Steinzeit der Raumfahrt, wie Reiter 1995 als einer von vier deutschen „Mir“-Besuchern feststellt.

Pumpen und Ventilatoren verursachen Lärm wie im Inneren eines Staubsaugers. Dusche und Toilette entpuppen sich als fehleranfällig. Schläuche durchziehen kreuz und quer die Station, Schraubzwingen halten eine Luke dicht. „Viele Russen basteln am Wochenende an ihrem Lada herum – mit dieser Einstellung sind auch die Kosmonauten auf der Mir am Werk“, schildert der deutsche Astronaut Reinhold Ewald launig die Lage auf dem 136 Tonnen schweren Weltraum-Fossil. Eine Raumstation sei eben „keine Vielfliegerlounge“ mit Plüschsesseln.

Ewald ist 1997 kaum eine Woche auf dem Außenposten rund 350 Kilometer über der Erde, als der schlimmste Fall eintritt: Feuer auf der „Mir“. Mit Mühe löscht die dreiköpfige Besatzung die halbmeterlange Stichflamme aus einem Sauerstoffgenerator. Doch die Materialermüdung auf dem robusten Orbit-Oldtimer ist unübersehbar. Mal tritt Chemie aus der Kühlung aus, dann kommt es beim Bordcomputer zum Blackout, schließlich schlägt ein Frachter ein Leck in die Schutzhülle.

Eigentlich soll die Raumstation von Nachfolger „Mir-2“ ersetzt werden. Doch mit der Sowjetunion geht 1991 auch die Raumfahrtindustrie des Riesenreichs unter. In Moskau fehlen die Mittel und im All die Ersatzteile. „Mit mehr als 1600 Defekten stellt die Mir einen uneinholbaren Pannenrekord auf“, ätzt die Zeitung „Segodnja“. Von „Russisch Roulette im All“ schreibt das Blatt „Iswestija“.

Zwar stemmt sich die Besatzung mit Bravour und hohem Einsatz gegen die Rückschläge, aber zum Forschen kommen die Astronauten kaum. Dabei gleicht die „Mir“ mittlerweile mit Pflanzen und Kleintieren einem botanischen Garten mit Mini-Zoo. Ihrem Namen, der übersetzt „Frieden“ oder „Welt“ bedeutet, macht die Station alle Ehre: Um den Betrieb zu finanzieren, lässt Russland 1995 US-Astronauten an Bord – ein Höhepunkt in der Zusammenarbeit der einstigen Konkurrenten.

Doch die USA drängen auf eine gemeinsame neue Basis. Mit dem Aufbau der Internationalen Raumstation ISS ab 1998 beginnt das Abwracken der mittlerweile zum technischen Denkmal gewordenen „Mir“. Ein letzter Versuch, das marode Sowjet-Erbe mit Hilfe eines Investors zum Weltraum-Hotel umzubauen, schlägt fehl. In ihren letzten Monaten kreist die Mir unbemannt um die Erde – wie ein Geisterschiff. Außen prangt die Kennung eines längst untergegangenen Landes: CCCP (UdSSR).

Am 23. März 2001 leitet Moskau den Sturz zur Erde und damit das flammende Finale ein. Was nicht in der Atmosphäre verglüht, geht als Trümmerhagel im Südpazifik östlich von Neuseeland nieder. Nach etwa 86.300 Erdumrundungen ruht die „Mir“ in Frieden auf dem Meeresgrund.

Rund 15 Jahre nach dieser Seebestattung zeichnet sich erneut eine richtungsweisende Entscheidung ab. Die „Mir“ gilt als Meilenstein der bemannten Raumfahrt und der internationalen Zusammenarbeit im All und die Raumstation ISS profitiert massiv von diesen Erfahrungen. Allerdings hat Russland angekündigt, die Zusammenarbeit etwa 2024 zu beenden: Moskau will künftig wieder einen eigenen Außenposten im Kosmos betreiben, von dem militärische Aufklärung möglich sein soll. [Wolfgang Jung/kw]

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