Nach der schweren Sojus-Panne diskutieren die Weltraum-Partner Russland und USA die Zukunft der Internationalen Raumstation ISS. Eine vorübergehende Verwaisung des Außenpostens der Menschheit ist möglich. Die Europäer aber wollen die ISS erhalten.
Erstmals seit elf Jahren denken die führenden Weltraumnationen Russland und USA über eine Verwaisung oder gar eine Aufgabe der Internationalen Raumstation ISS nach. Grund ist der Absturz der russischen Sojus-Rakete vor gut einer Woche. Zwar war anfangs die Lebenszeit des Außenpostens der Menschheit nur bis 2013 geplant. Doch diese Frist wurde zuletzt bis mindestens 2020 verlängert, dann soll die ISS punktgenau im Ozean versenkt werden. Vor allem die Europäer, die viel Geld investiert haben, werden angesichts der nun neu entbrannten Diskussionen unruhig. Sie raten dringend dazu, an der ISS festzuhalten.
„Jetzt beginnt die Zeit, in der wir Ergebnisse haben wollen“, sagt der Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Johann-Dietrich Wörner, der Nachrichtenagentur dpa. „Wir wollen nicht, dass die ISS aufgegeben wird“. Er fordert, die Europäische Raumfahrtagentur ESA an der Debatte über die ISS-Zukunft zu beteiligen. Doch auch Wörner weiß: Am Ende fällen die beiden Großmächte eine Entscheidung.
Galt die verlässliche Sojus lange als „VW-Käfer des Weltalls“, stellt sich nach der millionenschweren Panne nun die Frage nach der Sicherheit. Das auf seine Raumfahrttradition so stolze Russland diskutiert sogar die Zukunft seiner Präsenz im Kosmos. Doch der Crash hat auch die USA in ein schweres Dilemma gestürzt – denn die US-Weltraumbehörde NASA hadert nur wenige Monate nach der Ausmusterung ihrer Space Shuttle mit ihrer Weltraum-Strategie.
„Es gibt ein größeres Risiko, die ISS zu verlieren, wenn sie unbemannt ist“, warnt der zuständige NASA-Manager Michael Suffredini. DLR-Chef Wörner sieht den Sinn der ISS bei einer Evakuierung in Gefahr. „Viele Experimente können nur Menschen umsetzen“, sagt er. Immer wieder kam es in 350 Kilometern Höhe zu heiklen Situationen, die den Eingriff der Besatzung erforderten.
Für die USA wäre eine Räumung eine Niederlage auf ganzer Linie. Fast alle teuren Shuttle-Flüge des vergangenen Jahrzehnts dienten dazu, das Weltraum-Labor auszubauen und auszustatten. Transporte mit Sojus sind um ein Vielfaches günstiger. Auch deshalb hatte die NASA ihre Raumfähren ausgemustert – denn so sollte mehr Geld für wichtige ISS-Projekte zur Verfügung stehen, erklärt Scott Pace vom Raumfahrtinstitut der George Washington University. Diese Strategie erweist sich nun als brüchig.
Russland will die aufgeregte Diskussion rasch beruhigen. Zu Sowjetzeiten habe es zehnmal so viele Pannen gegeben, versichert Boris Tschertok von der Akademie der Wissenschaften nach der jüngsten Pannenserie. Und auch Vitali Dawydow, Vizechef der Raumfahrtbehörde Roskosmos, betont nach Angaben der Agentur Interfax, von einer „Systemkrise“ in der russischen Raumfahrt könne keine Rede sein.
Kein Wunder: Für Russland geht es um viel Geld. 60 Millionen US-Dollar (rund 42 Mio Euro) zahlt die NASA für jede Fahrkarte zur ISS – Sojus sind auf Jahre die einzigen Transportmittel für Raumfahrer. Moskau ist auf die Einnahmen angewiesen, um den ambitionierten Bau eines neuen Weltraumbahnhofs zu finanzieren.
Auch deshalb setzt Russland die USA nun unter Druck – und droht indirekt mit der freiwilligen Aufgabe der ISS. „Die Station hat ihre Kapazität für Experimente fast erschöpft“, sagt Tschertok laut Interfax. „Außerdem verbringen die Raumfahrer fast ihre ganze Zeit auf der Station mit Reparaturarbeiten“.
„Es gibt wahrscheinlich keine internationale Partnerschaft, die so groß, so ausgedehnt und so langfristig ist“, sagt US-Raumfahrtexperte Pace über die ISS. Die Station gilt als Symbol für die Überwindung des Kalten Krieges und für Multilateralismus. Doch die Zusammenarbeit könnte nun abrupt enden, das überwunden geglaubte Wettrüsten im All ginge von neuem los. Dann aber sind Russland und die USA nicht die einzigen Konkurrenten. „China wird in fünf bis sechs Jahren verlässliche Raumschiffe haben“, warnt Wissenschaftler Tschertok. [Benedikt von Imhoff/Marco Mierke]
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