Es ist ein Prestigeprojekt, nicht zuletzt für Präsident Wladimir Putin: Der neue, hochmoderne Weltraumbahnhof Wostotschny. Doch bisher machte das Projekt vor allem negative Schlagzeilen. Nun soll mit dem Start der ersten Rakete die erste Bewährungsprobe erfolgen.
Der Stolz der russischen Ingenieure ist 52 Meter hoch: ein mobiler Versorgungsturm auf Schienen für den Abschuss der ersten Rakete von Russlands neuem Kosmodrom Wostotschny. Wie ein gewaltiger Schrank soll der Gerüstturm künftig vor Starts um die Raketen geschoben werden. Bei Temperaturen zwischen fast minus 50 Grad Celsius und rund 40 Grad plus im Osten Sibiriens könnten die Spezialisten so geschützt arbeiten, erklärt Igor Komarow, Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos. „Das ist einzigartig.“
Die Bewährungsprobe für den neuen Weltraumbahnhof steht am kommenden Mittwoch (27. April) an. Präsident Wladimir Putin will mit dem ersten Raketenstart von Wostotschny den Beginn einer neuen Ära in der russischen Raumfahrt einläuten. Die Rakete vom Typ Sojus-2.1a mit drei Satelliten im Gepäck soll um 4.01 Uhr MESZ abheben.
Wostotschny im Gebiet Amur – rund 8000 Kilometer östlich des Machtzentrums Moskau – wird Russlands neues Fenster zu den Sternen. Hier will die stolze Raumfahrtnation bis 2030 ihren ersten Kosmonauten zum Mond schicken, ein Flug zum Mars soll folgen.
Für den Ausbau eines früheren Militärgeländes haben Tausende Arbeiter eine 700 Quadratkilometer große Schneise – eine Fläche etwa so groß wie Hamburg – in die Taiga geschlagen. Wichtige Infrastruktur wie die Schnellstraße Tschita-Chabarowsk und die Baikal-Amur-Eisenbahn sowie Seehäfen machen den Standort attraktiv. Ein Vorteil von Wostotschny ist auch der relativ kurze Abstand zum Äquator. So kann die Erdrotation der Rakete beim Start zusätzlichen Schub geben.
Während in Moskau Regierungsmitglieder das Lied von einem „Schaufenster für ein modernes Russland“ flöten, trüben massive Korruptionsvorwürfe das Bild des Prestigeprojekts. Millionen Euro versickerten, mehrere Funktionäre sitzen im Gefängnis.
Pfusch beim Bau und Streit mit Arbeitern über nicht gezahlte Löhne haben zudem den ursprünglich für Dezember 2015 geplanten Start verzögert. Der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ zufolge lagen die Schulden im März bei 117 Millionen Rubel (1,5 Millionen Euro). Wegen einer tiefen Rezession musste die Regierung das Raumfahrtbudget bis 2025 um ein Drittel auf rund 18 Milliarden Euro kürzen.
Allen Problemen zum Trotz ist Russlands Raumfahrtelite vom Erfolg des Milliardenprojekts Weltraumbahnhof überzeugt. „Wostotschny ist eindeutig das beste (Kosmodrom)“, sagt Roskosmosdirektor Komarow. In vielen Punkten setze die hochmoderne Raketenbasis weltweit Maßstäbe, sei es bei der Automatisierung oder in Technologiefragen, sagt er.
Mit Wostotschny will sich Russland auch langfristig unabhängig machen von seinem Kosmodrom Baikonur in Kasachstan. Für das gewaltige Areal zahlt Russland jährlich rund 100 Millionen Euro Pacht.
Baikonur steht wie kein zweiter Ort für die Erfolge der sowjetischen Raumfahrt. Von hier aus startete Juri Gagarin vor 55 Jahren zum ersten Flug eines Menschen im Kosmos. Nach dem Zerfall der UdSSR und Kasachstans Unabhängigkeitserklärung 1991 lag Baikonur aber plötzlich im Ausland. „Der Bau eines Kosmodroms auf eigenem Territorium wurde für Russland damit aus strategischer Sicht alternativlos“, sagt der Militärexperte Igor Korotschenko. Dies sei eine Frage der nationalen Sicherheit. „Russland braucht einen eigenen Zugang ins All.“
Bei dem überwiegend russischen Personal in Baikonur geht indes die Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes um. Moskau hat das legendäre Kosmodrom zwar noch bis 2050 gepachtet und will es nach der Inbetriebnahme von Wostotschny weiter nutzen. Aber der Umfang der Starts in Kasachstan dürfte abnehmen. In Internetforen erklären sich viele Arbeiter bereit, von der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik umzusiedeln und im fernen Osten – in Wostotschny – neu anzufangen.
Nach dem ersten Start soll dort zunächst für ein Jahr Ruhe sein. Denn Wostotschny ist längst nicht fertig gebaut. Der zweite Raketenstart wird 2017 erwartet. Roskosmos-Chef Komarow schätzt, dass der Betrieb 2018 richtig anlaufen wird. Mit dem Start kommerzieller Satelliten will Russland dann auf einem umkämpften Markt viel Geld verdienen. [Thomas Körbel und Wolfgang Jung/buhl]
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