Die Unterhaltungselektronik orientiert sich neu. Das TV-Geschäft kämpft mit Problemen, Audio bekommt neue Impulse. Der Vorstandschef des amerikanischen HiFi-Spezialisten Harman, Dinesh Paliwal, setzt auf die Integration von Audio-Technik im vernetzten Auto.
Herr Paliwal, wie lässt sich der Trend zum Musik-Streaming mit dem Anspruch optimaler Klangqualität vereinbaren?
Paliwal: „Die Soundqualität wird zu einem entscheidenden Faktor. Die Musik kann überall gestreamt werden, aber sie ist komprimiert. Deswegen lassen wir bei unserem System TrueStream Algorithmen durchlaufen, die diese abgeschnittenen Höhen und Tiefen wiederherstellen. Wir werden immer mehr Geräte mit diesen Modulen auf den Markt bringen.“
Inzwischen dringen immer mehr Hersteller auf den Markt für Streaming-Boxen. Spüren Sie den verstärkten Druck?
Paliwal: „Wir machen uns keine Sorgen um chinesische Wettbewerber. Jeder kann eine Box bauen. Aber was kann sie? Es geht um Innovation. Wir haben 3500 Entwickler.“
Da die Unterhaltungselektronik immer enger zusammenwächst, wäre nicht der logische nächste Schritt für Sie, einen Fernseher zu bauen?
Paliwal: „Ich höre diese Frage immer wieder. Es ist auch etwas, worüber wir schon nachgedacht haben. Wir könnten einen Fernseher bauen, das würde jedoch unserer neutralen Position gegenüber allen Herstellern von TV-Geräten schaden. Wir möchten ihnen allen unsere Sound-Systeme anbieten. Derzeit brauchen die Hersteller neue Lautsprecher-Module, die in vier Millimeter dünne Gehäuse passen. Wir entwickeln sie. Bang & Olufsen baut Fernseher, aber sie machen kein Geld damit.“
Warum legen Sie jetzt den Schwerpunkt auf HiFi im Auto? Das ist doch kaum die beste Umgebung, um Musik zu genießen…
Paliwal: „Erstens sind die Menschen heute daran gewöhnt, ständig ihre Smartphones zu nutzen und wollen darauf keine fünf Minuten verzichten. Zweitens lagern heute immer mehr Inhalte in der Cloud, auch die Musik. Und viele Leute verbringen jede Woche 15 bis 18 Stunden pro Woche im Auto. Sie sind nicht bereit, auf ihre Gewohnheiten zu verzichten. Unser Geschäft ist es, ihnen die Möglichkeit zu bieten, im Auto sicher auf ihre Inhalte zuzugreifen. Dafür haben wir zum Beispiel auch Technologien zur Rauschunterdrückung entwickelt.“
Große Autozulieferer sehen sich Ihnen gegenüber im Vorteil, weil sie direkt auf die Fahrzeug-Elektronik zugreifen können, die sie zum Teil auch selbst entwickeln. Wie wollen sie mit ihnen konkurrieren?
Paliwal: „Die Frage ist, was werden sie tun, um das Geschäft mit Infotainment-Systemen zurückzugewinnen, das sie verloren haben. Sie sind sehr gut in ihrem Kerngeschäft, aber die Technologie hat sich so schnell entwickelt, dass sie nicht hinterherkommen. Etwa Bosch oder Continental sind in unserem Bereich nicht mehr an der Spitze der Entwicklung. Es ist auch eine Frage der Fokussierung: Für Harman macht das Auto-Infotainment 55 Prozent der Umsätze aus. Für die Autozulieferer ist es nur ein Bruchteil ihres Geschäfts.“
Immer mehr Leute haben ein Smartphone in der Tasche, das ein leistungsstarker Computer ist, und zugleich kosten integrierte Navigationssysteme im Auto immer noch mehrere tausend Euro. Woran liegt das?
Paliwal: „Die Autohersteller haben traditionell mehr Gewinn mit Audiosystemen gemacht als mit dem Rest des Autos. Ich weiß das. Wenn wir ihnen ein High-End-System für 1000 Dollar liefern, verkaufen sie es an die Kunden wahrscheinlich für 3000 Dollar. Liefern wir ihnen eins für 1100 Dollar, schrauben sie den Preis auf 5000 hoch. Ernsthaft! Ich denke, das ist nicht fair. Wir wissen aus Umfragen, dass die Autofahrer durchaus eingebaute Unterhaltungs- und Navigationssysteme im Auto haben wollen. Aber sie sind nicht bereit, dafür 5000 bis 6000 Dollar zu bezahlen. Meine Prognose ist trotzdem, dass in fünf Jahren bereits 40 bis 50 Prozent der Autos mit integrierten Unterhaltungs- und Navigationssystemen ausgeliefert werden.“
Wie soll das geschehen?
Paliwal: „Wenn man den Anteil der Autos mit solchen Systemen von den heutigen 15 bis 20 Prozent auf 40 Prozent steigern würde, hätten die Autohersteller und wir ein höheres Geschäftsvolumen. Und mit der technischen Entwicklung können wir die Kosten immer weiter senken. Wir haben zudem die Basis unserer Systeme für verschiedene Hersteller standardisiert. Egal, ob wir jetzt für Mercedes oder Toyota entwickeln – etwa 60 Prozent sind identisch, nur der Rest muss angepasst werden. Über die Cloud können wir die Geräte aktualisieren. Das alles hat uns erlaubt, die Kosten zu halbieren. Jetzt haben wir Aufträge für 16 Milliarden Dollar für die nächsten fünf Jahre in unseren Büchern. Alle deutschen Autobauer haben in den vergangenen Jahren bei uns bestellt.“
Die Preise für Heim-Audiosysteme müssten dann aber auch sinken?
Paliwal: „Die Preise für einzelne Bauteile sinken auf jeden Fall, die ganze Zeit. Wir können immer mehr Funktionen in die Geräte packen. Bei manchen Produkten sinken die Preise, aber bei den meisten können wir jedes Jahr mehr Funktionen zum gleichen Preis bieten.“
Vielen Dank für das Gespräch![Andrej Sokolow und Peter Zschunke]