„Sandmännchen“ und „Polizeiruf 110“ überlebten alles. Vor 30 Jahren ereignete sich ein großer Medienumbruch im Osten: Der ehemalige Staatsfunk der DDR verschwand vom Bildschirm. Wie war das damals?
Am Ende zupft sich Moderatorin Heidrun Schulz mit einigem Geknister selbst das Mikrofon vom Revers, dann ist sie nur noch als Schattenriss zu sehen. Das Licht geht aus. Es ist vorbei – die letzte Ausgabe der Fernsehnachrichten „DFF Aktuell“ am 31. Dezember 1991. Ein gutes Jahr nach der deutschen Vereinigung ist auch der ehemalige Staatsfunk der DDR Geschichte.
Vor 30 Jahren wurden die verbliebenen Fernseh- und Hörfunkprogramme aus Ostberlin und den neuen Ländern in das das westdeutsche System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingegliedert. Sie hatten zu dem Zeitpunkt nur noch wenig mit Schwarzem Kanal und ideologischer Keule gemein. Nach der Wende im Herbst 1989 versuchten die Sender, sich freizuschwimmen und die DDR-Bürger mit Nützlichem und Tröstlichem auf dem Weg ins Unbekannte zu begleiten.
Eine Zukunft hatten die Rundfunkmacher trotzdem nicht. In den letzten Minuten versprühte das Fernsehprogramm noch einmal Fröhlichkeit: Es wurde gesungen, wegen Silvester. Ein Sekundenzeiger rückte vor auf die 12. Dann Sendeschluss. Am 1. Januar 1992 nahmen ORB – heute RBB – und MDR den Betrieb auf. Ganz im Norden übernahm der NDR.
DFF geht in MDR, ORB und NDR auf
Wer sich heute das riesige Gelände des ehemaligen Funkhauses an der Nalepastraße im Südosten Berlins anschaut, kann erahnen, was für ein Einschnitt das war. Heute schlummern die riesigen Sendesäle mit ihren ausgeklügelten Klangkonzepten kalt und leer in dem nach der Wende mehrfach verkauften und teils neu genutzten Gebäudekomplex. Die orangefarbenen 50er-Jahre-Sessel vor den Studiotüren tragen Spinnweben zwischen den Beinen. Aber man spürt, was das einmal war: ein Traum in Teak und Marmor, ein Prestigeprojekt des Sozialismus.
Bis zu 13 000 Menschen arbeiteten früher daran, Hörfunk und Fernsehen, Nachrichten, „Sandmännchen“ oder «Ein Kessel Buntes» auf den Sender zu bringen. Orchester und Chöre, Kraftfahrer und Friseure, Kantinen und Kitas – eine Kleinstadt im Dienste des Staatlichen Komitees für Rundfunk beim Ministerrat der DDR.
Der Spott über die von der Zensur gegängelten, öden DDR-Programme ist legendär. Wie lang ist ein „Ulb“ oder ein „Schnitz“? Genau, so lang, wie es dauert, bis man nach Beginn einer Rede von Walter Ulbricht oder einer Sendung von Karl-Eduard von Schnitzler den Ausknopf gefunden hat. „Propaganda und häufig pure Langeweile – davon waren Fernsehen und Hörfunk in der DDR geprägt“, resümierte der westdeutsche Medienmanager Ernst Dohlus in einer Artikelserie für die Bundeszentrale für politische Bildung.
Wer konnte, suchte sich das beste aus West- und Ostprogrammen zusammen
Der Journalist Alfred Eichhorn, der 1967 beim DDR-Radio anfing und nach der Wende den Übergang zum Sender Freies Berlin schaffte, findet diese Sicht nicht ganz fair. „Das ist Quatsch, dass uns niemand gehört hat“, sagt der heute 77-Jährige. Nicht nur der Jugendsender DT64, auch die großen Unterhaltungsprogramme hätten ihr DDR-Publikum erreicht. Und wer konnte, suchte sich das beste aus West- und Ostprogrammen zusammen. „Man hat beides gehört“, sagt Eichhorn.
Seine Zeit beim DDR-Radio, zeitweise in der Politikredaktion, meist in der Kultur, schildert Eichhorn als wenig aufmüpfig. „Letztlich wurde gemacht, was die Partei wollte.“ Er selbst habe einige Freiheiten gehabt, sei in die Bundesrepublik gereist, habe Westdeutsche wie Walter Jens oder Günter Wallraff interviewt. Es habe auch mal hochgezogene Augenbrauen über SED-Vorgaben gegeben, aber kaum echte Kritik – auch wenn das einige später anders dargestellt hätten. „Ich habe gestaunt, wie viele Widerstandskämpfer damals an meiner Seite gearbeitet haben“, scherzt Eichhorn.
Wirklich losgelegt habe man dann in der Wendezeit und nach der Vereinigung, als dem ehemaligen DDR-Funk als „Einrichtung nach Artikel 36“ des Einigungsvertrags eine Art Gnadenfrist blieb. Eichhorn nennt das eine goldene Zeit. „Es war, als hätte jemand ein Fenster aufgemacht“, zitiert er den Schriftsteller Stefan Heym. Steuern, Versicherungen, Ratgeber – praktische Lebenshilfe war angesagt und wurde laut Eichhorn auch vom Publikum gelobt.
Heutige MDR-Intendantin Karola Wille direkte Zeitzeugin des Wechsels
Nach dem Übergang zum 1. Januar 1992 begann neben dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) auch der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) zu senden. Die heutige Intendantin Karola Wille ist Zeitzeugin. In den Umbrüchen war sie seit November 1991 Referentin in der juristischen Direktion im neuen MDR. Sie sagt der Deutschen Presse-Agentur rückblickend: „Diese Gründungszeit war eine Aufbruchszeit für uns in die Welt freier Medien. Es war uns die Verantwortung bewusst, dass wir genau die Abkehr waren zu Staatsfunk.“ Der MDR war eine Neugründung, zwischen parlamentarischer Verabschiedung des MDR-Vertrags und des Starts lagen sechs Monate. So etwas muss man sich heute mal vorstellen. Wille sagt: „Es gab im Juli einen Mitarbeiter, das war der Gründungsintendant Prof. Udo Reiter mit der Personalnummer 1.“
Wie haben die Bürger das neue Fernsehen aufgenommen? „Die Aufgabe war, dass wir in dieser schwierigen Zeit der Umbrüche einerseits Identität bilden und festigen und gleichzeitig eine Balance halten zwischen Annäherung an Neues und Besinnung auf Bekanntes. So war auch die Programmmischung.“ Intendantin Wille sagt: „Das DDR-Fernsehen hatte einen hohen Unterhaltungsanteil.“ Deswegen gab es den „Kessel Buntes„, „Polizeiruf 110“, „Achims Hitparade“ auch im MDR – der Sender hat aber von Anfang an mit „MDR Aktuell“ auf eine eigene Nachrichtensendung gesetzt, ein innenpolitisches Magazin entwickelt – und mit „Fakt“ auch bundesweit für das Erste.
Diese Zeit muss man sich unglaublich wuselig vorstellen. „Wir hatten keine Schonzeit und es gab hier auch die duale Rundfunkordnung“, sagt Wille. Den Funk zu DDR-Zeiten sieht sie nüchtern: „Es war Staatsfunk in inhaltlicher, personeller, finanzieller und in struktureller Hinsicht. Selbst bei ‚Ein Kessel Buntes‘ hatte man nur vermeintlich Freiheiten gehabt. Aber auch da: Man konnte Dinge zwischen den Zeilen sagen, aber es gab Grenzen. Auch da.“
[Verena Schmitt-Roschmann und Anna Ringle]
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