Gewaltige Investitionen, eine Modernisierung des Staates und eine umfassende Reform der IT-Sicherheitspolitik. Die Ampel-Koalition Rot-Grün-Gelb hat sich bei der Digitalisierung Deutschlands viel vorgenommen. Wie man diese Ziele aber exakt erreichen will, bleibt unklar.
Die Ampelkoalition will bei der Digitalisierung Tempo machen. In dem 177-seitigen Koalitionsvertrag taucht an 188 Stellen das Wort «digital» auf. Die Neuordnung der digitalpolitischen Kompetenzen und verschiedenste Digital-Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das kommende Regierungsprogramm. Von der Idee der Neugründung eines Digitalministeriums sind SPD, Grüne und FDP allerdings wieder abgerückt. Und auch die Position der Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, die bislang von Dorothee Bär (CSU) einnahm, ist der Streichliste zum Opfer gefallen.
Thomas Jarzombek (CDU) sieht darin eine verpasste Chance. Er ist bisher noch Beauftragter des Wirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft. „Es wird nun vor allem darauf ankommen, ob Ziele aus dem Vertrag auch geliefert werden können. Dazu muss vor allem die Blockade bei vielen Themen zwischen den Ministerien beseitigt werden, indem es eindeutige Zuständigkeiten gibt.“
Jetzt muss die Ampel liefern
Neuer starker Mann fürs Digitale bei Rot-Grün-Gelb wird Volker Wissing: Der bisherige FDP-General soll Verkehrsminister werden und sich dort auch um das „Digitale“ kümmern. Allerdings beschränkt sich seine Zuständigkeit vor allem auf die digitale Infrastruktur. Der gesamte Komplex der Verwaltungsdigitalisierung bleibt wohl in der Zuständigkeit des Innenministeriums. Als Ressortchefin ist dort Christine Lambrecht (SPD) im Gespräch.
Die FDP hatte vor der Wahl noch ein „Ministerium für digitale Transformation“ gefordert. Nun sollen sich sämtliche Ministerinnen und Minister um die Digitalisierung kümmern. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Von der Leitung der Ministerien und den Führungskräften im Öffentlichen Dienst erwarten wir, dass sie eine moderne Führungs- und Verwaltungskultur vorantreiben und für digitale Lösungen sorgen.“
Im Wahlkampf forderten die Liberalen eine „flächendeckende und hochleistungsfähige Mobilfunkabdeckung“ durch echten Wettbewerb auf dem Mobilfunkmarkt sowie ein Glasfasernetz und eine konsequente Hochrüstung bestehender Mobilfunktionsnetze. Bis zum Jahr 2025 sei der bundesweite Aufbau von 5G-Netzen abzuschließen. Daran wird man Wissing künftig messen: Für „Funklöcher“ ist künftig er zuständig.
Minister-Posten noch nicht verkündet
Offen scheint, wie groß die Rolle der von seinem Vorgänger Andreas Scheuer (CSU) auf den Weg gebrachten Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft des Bundes dabei, die Ziele zu erreichen und die letzten „weißen Flecken“ zu schließen. Die Gesellschaft soll dort, wo die Mobilfunknetzbetreiber nicht privat ausbauen und auch keine Versorgungsauflagen bestehen, die „Initiative“ ergreifen und den Ausbau vorantreiben, unter Einbindung von Unternehmen und Kommunen.
Beim Netzausbau kann Wissing vor allem an zwei Stellschrauben drehen: Zum einen sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren weniger bürokratisch ablaufen und dadurch eine Beschleunigung erfahren. Das hatte sich aber auch Scheuer vorgenommen. Gleichzeitig wolle man aber auch alternative Verlegemethoden für die Glasfaserstränge ermöglichen. Damit sollen die Straßen nicht mehr mühselig mit Baggern tief aufgegraben werden. Die dünnen Rohre mit der Glasfaser werden stattdessen in gefrästen Schlitzen am Straßenrand verlegt.
Bei der Cybersicherheitspolitik wagt Rot-Grün-Gelb in einem wichtigen Punkt eine 180-Grad-Wende. Künftig sind alle staatlichen Stellen verpflichtet, ihnen bekannte Sicherheitslücken dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zu melden. Das BSI soll sich dann um die „schnellstmögliche Schließung“ bemühen. Solche Lücken nutzten bislang auch Bundeskriminalamt und Bundesnachrichtendienst aus, um mutmaßliche Schwerstkriminelle oder Terrorverdächtige überwachen zu können.
180-Grad-Wende bei Cybersicherheitspolitik
Neue Akzente setzt die Ampelkoalition auch bei öffentlichen IT-Projekten. Die sollen künftig als Open Source beauftragt und „grundsätzlich öffentlich gemacht“ werden. Ob das die Verbannung für geschlossene Programme wie Microsoft Office oder das Betriebssystem Windows auf den Behördenstuben bedeutet, kann man dem Vertrag nicht entnehmen. Vage bleibt das Koalitionspapier auch bei der Frage, wie eine Cloud der öffentlichen Verwaltung aussehen soll.
Konkret ist dagegen das Vorhaben, ein gravierendes Hindernis für die Digitalisierung der Verwaltung zu beseitigen, nämlich die Schriftformerfordernis. Bislang konnten viele Verwaltungsvorgänge nur dann abgeschlossen werden, wenn sie auf Papier festgehalten und mit Kugelschreiber oder Tinte unterschrieben wurden. Das bremste Verwaltungsverfahren, die eigentlich ausschließlich mit digitalen Dokumenten und elektronischen Signaturen arbeiten sollten.
Der Digitalverband Bitkom begrüßte das Vorhaben, mahnte aber einen konkreten Zeitrahmen für die geplante Änderung an. Insgesamt stieß der Koalitionsvertrag aber bei Bitkom-Präsident Achim Berg auf eine positive Reaktion: Er bleibe zwar in puncto Digitalisierung etwas hinter den hohen Ansprüchen des Sondierungspapiers zurück, biete aber eine Fülle guter Ansätze, um Deutschland fit zu machen für die digitale Welt. „Jetzt muss es darum gehen, die digitalen Kernvorhaben wie zum Beispiel die Digitalisierung von Verwaltung und Schulen in die Praxis umzusetzen und gleichzeitig dort nachzulegen, wo es noch Lücken gibt wie in der Datenpolitik und bei digitalen Identitäten.“
Rot-Grün-Gelb geht mit Rückenwind in neue Legislatur
Zufrieden zeigt sich auch der Deutschland-Chef von Vodafone, Hannes Amtesreiter. Die neue Bundesregierung setze viele richtige Signale: „Sie stärkt die Digitalisierung im Kampf gegen den Klimawandel und fördert Glasfaser dort, wo es am Nötigsten ist.“
Kritischer sieht Peter F. Schmid, Chef des Hamburger IT-Unternehmens Visable, das Verhandlungsergebnis. Um die Digitalisierung in Deutschland auf ein international konkurrenzfähiges Niveau zu bringen, sei es nicht genug, Faxgeräte abzuschaffen und sich mit stabilem W-Lan in Schulen zu begnügen. „Stattdessen müssen der digitale Fortschritt endlich priorisiert und Kompetenzen gebündelt werden. Ein eigenes Digitalministerium wäre ein starkes Signal der Bundesregierung gewesen – auch an Europa.“
[Christoph Dernbach und Andreas Hoenig]
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- Reichstag-2: © Deutscher Bundestag/Julia Nowak-Katz