Nach zehn Jahren im Amt geht Ulrich Wilhelm als Intendant des öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunks von Bord. Erstmals in der Senderhistorie übernimmt eine Frau den Spitzenposten – und einen sehr anderen Sender als zu Wilhelms Start 2011.
Er hat eine Ära geprägt. Ulrich Wilhelm veränderte den Bayerischen Rundfunk (BR) so stark wie wohl kein Intendant zuvor. Ende Januar tritt der 59-Jährige nach zwei Amtszeiten von der Spitze des öffentlich-rechtlichen Senders ab.
Es ist eine Zäsur. Erstmals in rund 70 Jahren BR-Geschichte übernimmt mit der bisherigen MDR-Programmdirektorin Katja Wildermuth eine Frau die Führung der viertgrößten ARD-Anstalt. Die 55-Jährige findet einen BR vor, wie ihn sich viele zu Wilhelms Antritt 2011 kaum vorstellen konnten.
Der Oberbayer mit CSU-Geschichte wechselte damals aus dem Amt des Regierungssprechers von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) nach München – eine Steilvorlage für Kritiker, denen der Sender zu nah an den Mächtigen ist. Doch Wilhelm betonte gegenüber der CSU-Staatsregierung mehrfach die Unabhängigkeit seines Hauses.
Programmdirektorin Katja Wildermuth übernimmt Ende Januar
Den größten Umbau startete der Journalist und Jurist gleich zu Beginn der Intendanz: „BR hoch drei“ – TV, Radio, Online aus einem Guss statt in getrennten Sparten. Der multimediale Wandel musste erst in die Köpfe und dann die komplexen öffentlich-rechtlichen Strukturen aufbrechen. Ein Prozess für zehn Jahre Intendanz – und mehr.
„Die fahren alles an die Wand“, erinnerte sich Wilhelm in seiner letzten Rundfunkratssitzung an Aussagen respektierter Journalisten des Hauses. Heute sei das Konzept erfolgreich, lobte Rundfunkratschef Lorenz Wolf bei der Sitzung im Dezember: „Die trimediale Aufstellung des BR hat inzwischen Vorbildcharakter für andere.“
Sichtbar wird der künftige BR gerade auf der Baustelle des mächtigen neuen Redaktionszentrums Freimann im Münchner Norden. Der zentrale Bau soll Ende 2021 fertig sein, 2023 die komplette Technik. Viele arbeiten heute schon dort, der große Umzug ist für 2024 geplant.
Als ARD-Vorsitzender kämpfte Wilhelm zwei Jahre (2018/2019) für ein Beitragsplus, das nun juristisch geklärt wird. In der ARD-Familie lag der BR allerdings gerade zuletzt bei manchen Fragen auf Konfliktkurs.
Unermüdlich engagierte sich Wilhelm in der zunehmend schärferen Debatte um Rundfunkfreiheit und um die öffentlich-rechtlichen Sender: „Wir müssen weiter darum kämpfen, als ein öffentliches Gut wahrgenommen zu werden“, schrieb er noch einmal in einer Bilanz an die BR-Belegschaft zum Jahreswechsel.
Mit den Zeitungsverlagen suchte Wilhelm im Streit um Online-Angebote den Ausgleich über seinen Draht zu Mathias Döpfner, dem Springer-Chef und Verleger-Präsidenten (BDZV). Das eigene Digitalangebot „BR24“ baute er zugleich stark aus. Strategisches Herzensanliegen Wilhelms über seine Intendanz hinaus ist ein europäisches Gegengewicht zur Übermacht von US-Internetriesen wie Facebook, Google und Netflix.
Bis Ende 2019 hatte Wilhelm für zwei Jahre auch den ARD-Vorsitz inne
Der BR trieb unter Wilhelm die Nutzerzahlen nach oben, so stieg die Gesamtreichweite auf rund zwei Drittel der Bayern über 14 Jahre. Exemplarisch für die nicht konfliktfreie Veränderungskur des Intendanten war der Streit um die Volksmusik. Gegen massiven Protest verbannte er sie aus dem analogen Radio ins Digitale – und das in Bayern. Heute sei der 2015 gestartete Volksmusiksender „BR Heimat“ das erfolgreichste Digitalprogramm des Hauses.
Der Belegschaft verlangte der im Umgang stets diplomatische, in der Sache aber ebenso konsequente Intendant viel ab – inklusive Jobabbau. Sparzwang und Wandel auf allen Ebenen treffen die aktuell knapp 5250 Beschäftigten, darunter gut 1750 arbeitnehmerähnliche Honorar- und Gagenempfänger. Im letzten Tarifkonflikt gab es erstmals mehrtägige Warnstreiks mit Sendeausfällen. Am Ende der Intendanz kam dann noch Corona mit auch für den BR gewaltigen Home-Office-Herausforderungen.
Eine große Entscheidung will Wilhelm auf den letzten Metern vollenden: Wer wird Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters? Für die Nachfolge des vor gut einem Jahr gestorbenen Mariss Jansons gibt es mehrere heiße Kandidaten. Spekuliert wurde zuletzt vor allem über den Briten Sir Simon Rattle, Chefdirigent des London Symphony Orchestra.
Einen Expansionskurs fährt der einst sehr auf München und Nürnberg konzentrierte BR in den Regionen Bayerns. Wilhelm verstärkte in vielen Ecken des Freistaats die Präsenz. So manche Zeitungshäuser und Privatsender sehen das kritisch. Das Murren bei Privatradios wurde zuletzt lauter, gerade auch im Wettstreit um Nachwuchs und Top-Leute.
Und was plant Wilhelm für seine Zukunft? Seit dem Verzicht auf die Kandidatur für eine dritte Amtszeit lässt er es offen: Dies gebiete die Neutralität eines Intendanten. „Das überlege ich mir erst im Frühjahr.“ Zu Wegbegleitern sagt Wilhelm bei seinem Einsatz bis zuletzt: „Ich habe gar keine Zeit, darüber nachzudenken, was ich nachher mache.“
[Roland Freund]
Bildquelle:
- BR_UlrichWilhelm: © Bayerischer Rundfunk
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