Pornos sind vielen peinlich – deswegen schauen Kunden Sexfilme lieber anonym im Netz. Dem stationären Erotik-Handel bricht damit ein wichtiges Standbein weg. Die Fachhändler setzen nun auf andere Rezepte.
Bizarre Masken, Fesseln und Gummifäuste mit Griff: Im Untergeschoss der Kasseler Orion-Filiale sieht es ein bisschen so aus, wie man sich einen Sex-Shop früher vorstellte. Im schummrigen Licht steht ein „Peitschenstuhl“, an der Wand hängt das passende Werkzeug. Eine Etage höher zeigt sich der Erotik-Fachhandel von einer anderen Seite: freundlich, modern und massentauglich.
Dort gibt es Wareninseln mit Erotik-Literatur und Sexscherzartikeln. Im Gleitmittelregal steht für autobegeisterte Paare „Black Gold 0W40“ in einer Verpackung, in der sonst Motoröl an Tankstellen verkauft wird. Pornos mit expliziten DVD-Covern sind dagegen nur relativ wenig im Angebot. Stattdessen reihen sich in den Regalen futuristisch anmutende und bunte Vibratoren aneinander. Viele sehen aus, als könnte man sich damit auch rasieren oder Falten wegmassieren.
Im Radio singt James Blunt, als die Tür aufgeht und der erste Kunde eintritt. Er grüßt freundlich, trägt keinerlei Verkleidung. Kunden mit Sonnenbrille, Trenchcoat und Hut – „die gab es früher wirklich“, sagt Jens Seipp. Er ist Marketingleiter der Orion Erotik Fachgeschäfte GmbH im mittelhessischen Biebertal, die bundesweit 147 Filialen betreibt. Inzwischen sei die deutsche Gesellschaft offener für Erotik. Heute kämen viele Frauen und Paare in die Shops. „Gemeinsam einkaufen ist ein Thema geworden“, erklärt Seipp.
Für den Erotik-Handel vor Ort sind die Zeiten dennoch schwierig. Im Internet können Kunden bestellen ohne die Gefahr, den Nachbarn im Sex-Shop zu treffen. Und Online-Versandhändler wie Amorelie und Eis.de machen dem stationären Handel das Leben schwer.
Weggebrochen ist vor allem ein Bereich: Pornos. Vor 20 Jahren hätten viele Erotikfachhändler mit dem Verkauf und der Vorführung von Filmen in Kabinen noch 70 Prozent ihrer Umsätze gemacht, erklärt Uwe Kaltenberg, Geschäftsführer des Bundesverbands Erotik Handel (BEH): „Das hat sich völlig umgedreht.“ Heute seien es nur noch 30 Prozent.
Konkurrenten der Fachhändler sind Streaming-Dienste: Gegen einen Betrag oder eine Pauschale können die Kunden Sexfilme gucken, ohne die Wohnung zu verlassen. Diese Konkurrenz akzeptiert der BEH. Ein Dorn im Auge sind ihm allerdings die Gratisportale: „Unserer Meinung nach kommt der riesige Schwund bei den Kunden durch die illegalen Anbieter.“ Dort lassen sich Filme kostenlos downloaden oder ansehen – ohne Jugendschutz. „Für Wettbewerber, die sich an Gesetze halten, ist das schädlich“, erklärt Kaltenberg.
Doch Versuche des Verbandes, über die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) Internetprovider zu einer Sperrung zu bewegen, seien bisher erfolglos geblieben. Die KJM erklärt, dass solche Sperrverfügungen „grundsätzlich in Einzelfällen technisch und rechtlich möglich sind“. Sie seien aber mit „erheblichen Schwierigkeiten verbunden“ und ließen sich leicht umgehen. Nötig seien zudem einzelfallbezogene Prüfungen.
Wie sehr illegale Portale und Erotik-Online-Versand wachsen, ist unklar. Branchenzahlen gibt es nicht. Einen Anhaltspunkt, wie das Internet den Ladengeschäften zusetzt, liefert aber die Mitgliederzahl des Bundesverbands Erotik Handel. „In den besten Zeiten vor 20 Jahren waren es 400, jetzt sind es knapp unter 200“, sagt Kaltenberg.
Dass sich der Markt Richtung Internet bewegt, spüren auch Hersteller. Die Firma Fun Factory aus Bremen produziert Vibratoren, Dildos und Liebeskugeln. Die meisten Produkte habe man früher an Händler verkauft, die einen kombinierten Handel, also Geschäft und Versand hatten, sagt eine Sprecherin. „In den letzten fünf Jahren hat sich das extrem verändert, viele Onlineshops sind auf den Markt gekommen.“
Selbst Branchengrößen kamen ins Straucheln: Beate Uhse AG ging Ende 2017 insolvent. Jüngst kündigte das Unternehmen einen Neustart unter dem Namen „be you“ als GmbH an. Die hessische Orion GmbH setzt hingegen auf gemietete Ladenflächen, die sie einrichtet und an selbstständige Handelsvertreter vergibt. Hatte das Familienunternehmen 1980 noch 15 Läden, ist es heute mit seinen knapp 150 Filialen laut Erotikverband BEH Marktführer in Deutschland. Beim Umsatz kratze man an der Marke von 50 Millionen Euro, sagt Marketingleiter Seipp. Mit der Orion Versand GmbH gibt es auch einen Online-Händler als getrenntes Unternehmen mit Sitz in Flensburg.
Statt mit Pornos will Orion nun mit Sexspielzeug Kunden ansprechen: „Das Thema Toys ist immer weiter gewachsen“, sagt Seipp. Statt billige Vibratoren aus Fernost wollten die Leute hochwertige Technik. Das Vorzeigeprodukt, die Womanizer Linie, kostet 130 bis 180 Euro. Und seit der Erotikbuchreihe „Shades of Grey“ und deren Verfilmung würden auch mehr Peitschen verkauft. „Der Fetisch ist aus der Tabu-Ecke herausgekommen“, so Seipp. Manche Trends können sich die Erotikhändler selbst nicht erklären: So seien Masturbationsgeräte für Männer seit fast einem Jahr „gefragt wie nie zuvor“. [Göran Gehlen ]
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