Was einst vor allem für ARD, ZDF oder RTL bestimmt war, interessiert nun auch Netflix, Amazon und Hulu. Auf der Suche nach neuem Stoff rücken deutsche Serien bei US-Anbietern in den Fokus. Dabei muss es längst nicht mehr nur um Nazis, Nachkriegszeit oder die DDR gehen.
Die deutsche Fernsehlandschaft beschrieb die „New York Times“ vor ein paar Monaten so: „Schwerpunkt auf politischen Talkshows, Polizeidramen für Durchschnittsbürger und TV-Filme zweiter Klasse“. Während Dänemark, Frankreich und Norwegen für ihre Beiträge zur neuen goldenen Ära des Fernsehens gelobt würden, habe es aus Deutschland nur „wenig ehrgeizige fiktive Serien“ gegeben. Doch 2015, schreibt die Zeitung, habe sich plötzlich etwas geändert.
Wenn man so will, legte „Deutschland 83“ im Jahr 2015 den Schalter um. Deutsche Zuschauer hatten wenig übrig für die deutsch-deutsche Agentenserie, doch im Ausland holte die RTL-Produktion einen International Emmy und wurde in mehr als 110 Länder verkauft. Die Serie habe die „Schleusentore für eine deutsche TV-Rennaissance“ geöffnet, schrieb der britische „Guardian“. Seitdem greifen Programmleiter von Streamingdiensten wie Netflix und Amazon häufiger zu, wenn sie ihr Angebot mit Titeln „Made in Germany“ erweitern können.
Jüngstes Beispiel ist die vom ZDF produzierte Finanz-Thrillerserie „Bad Banks“ mit Paula Beer. Der 17 Millionen Abonnenten zählende Anbieter Hulu sicherte sich nun die Ausstrahlungsrechte für die erste Staffel, der Branchendienst „DWDL.de“ spricht von einem „Ritterschlag“. Die Serie um die junge, ehrgeizige Bankerin Jana Liekam war die erste, die diesen Monat beim deutschen Filmfestival „Kino!“ in New York zu sehen war – und prompt den Publikumspreis gewann. Das ZDF plant bereits eine zweite Staffel.
Für Gesprächsstoff hat in den USA auch „Dark“ gesorgt, die erste deutsche Produktion für Netflix. Der Science-Fiction-Stoff mache „abhängig“, urteilte die Website „The Verge“, die sich an den Stil von David Lynch und David Fincher erinnert fühlte. Konkurrent Amazon hatte davor Matthias Schweighöfers Thrillerserie „You are Wanted“ ins Netz geschickt, die zweite Staffel soll am 18. Mai starten. Auch der von ARD und Sky produzierte Historien-Krimi „Babylon Berlin“ sowie die Miniserien „Unsere Mütter, unsere Väter“ und „Ku’damm 56“ machten jenseits des Atlantiks von sich reden.
„Die Stoffe haben einen Sprung nach vorn gemacht“, sagt Mariette Rissenbeek vom Unternehmen German Films, das deutschen Film und Fernsehen im Ausland bekannter machen will. „Dark“ lehne sich dabei an amerikanische Serien an, dasselbe gelte für „Bad Banks“. Deren Regisseur „Christian Schwochow hat eine sehr moderne und sehr zeitgemäße Bildsprache gesucht und gefunden, die in meinen Augen mit amerikanischen Serien durchaus mithalten kann“, sagt Rissenbeek.
Laut Nina Grosse, Drehbuchautorin und Regisseurin der ZDF-Serie „Die Protokollantin“, hätten deutsche Fernsehmacher erst gehadert. „Am Anfang, als die großen Serien wie „Breaking Bad“, „Mad Men“, „House of Cards“ kamen, waren alle hier in Deutschland so begeistert. Aber niemand traute sich, etwas Vergleichbares zu machen“, sagte sie dem Portal „Variety“ kürzlich. Grund seien vor allem die für Deutschland „undenkbaren“ ambivalenten oder bösen Hauptfiguren, laut Grosse wichtiger Bestandteil einer guten Serie. Dank Serien wie „Babylon Berlin“ und „Bad Banks“ habe aber ein Umdenken stattgefunden.
Vom klassischen Krimi, ob im „Tatort“ oder „Alarm für Cobra 11“, wollen sich deutsche Sender nicht abwenden. Zu groß ist die Fanbasis. Doch Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten scheinen sich neuem Stoff zu öffnen, wobei es längst nicht nur um Nazi-Herrschaft, die Nachkriegszeit oder die deutsche Teilung gehen muss. „Das eine geht noch und das andere geht auch“, sagt Rissenbeek mit Blick auf historische Themen im Vergleich zu modernen Inhalten wie „Bad Banks“ (Finanzwelt) oder „Dark“ (Kleinstadt-Mystery).
Der jüngste Streich heißt „Charité“, eine ARD-Serie über die Berliner Klinik, die vom Pesthaus zu einem Krankenhaus von Weltklasse wuchs. Der Streaming-Gigant Netflix sicherte sich nun die Rechte daran – und will „Charité“ auch in USA, Kanada und Großbritannien zeigen.
[Johannes Schmitt-Tegge]
Bildquelle:
- Medien_Maerkte_Artikelbild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com