Indien und Pakistan sind Erzfeinde. Alle Versuche einer politischen Annäherung waren stets nur von kurzer Dauer. Nun bringt eine TV-Serie die Menschen beiderseits der Stacheldraht-Grenze näher.
Das Baby seiner Ehefrau Ujala ist das Kind eines Vergewaltigers. Faisal ringt mit sich. Aber es fällt ihm schwer, das zu akzeptieren. Solche Familiendramen packen Deepti Sharma. Die 55-jährige Inderin schaut sich täglich um 20.00 Uhr solche Serien an – und zwar aus dem Nachbarland Pakistan. Einem Land also, das in Indien als Erzfeind gilt.
Bei einigen Zuschauern auf der östlichen Seite des Hunderte Kilometer langen Stacheldrahtes sind diese pakistanischen Soaps sogar beliebter als die indischen. Weil sie realistischer sind. „Dort lebt nicht jeder in einem herrschaftlichen Haus, die Darsteller ziehen sich normal an – Zuhause tragen sie Puschen und gehen nicht mit Schmuck und fein gemacht ins Bett“, sagt Nivedita Gupta, eine 45 Jahre alte Hausfrau aus Kalkutta. „Die Leute scheinen echt zu sein. Sie sind wie wir.“
Vor 1947 war der ganze Subkontinent britische Kolonie. Mit der Unabhängigkeit wurde das Gebiet nach dem Grundsatz geteilt: Muslime nach Pakistan, Hindus und Sikhs nach Indien. Blutige Kämpfe waren die Folge, Umsiedlungen traumatisierten die Bevölkerung, Hunderttausende wurden getötet. Die TV-Serien sind ein Beispiel dafür, dass es trotz Feindschaft und staatlicher Trennung unzählige Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern gibt.
Serien-Fan Gupta hat „Anti-Indien-Zeug“ in den Soaps erwartet. „Das kommt gar nicht darin vor“, sagt sie. In vielerlei Hinsicht bieten die Serien für sie ein Guckloch in eine unerreichbare Welt – die Grenze zwischen den Erzfeinden ist quasi nicht überwindbar.
So dachte Gupta zum Beispiel, Viel-Ehen seien in der muslimischen Gesellschaft Pakistans gang und gebe. Doch würden sie in den Soaps nicht positiv bewertet. Aber es bereitet ihr Unbehagen, dass so häufig Cousins mit Cousinen verheiratet werden – auch wenn das in einigen Regionen Indiens ebenfalls nicht unüblich ist.
„Bislang hatten Inder dieses Fenster zur pakistanischen Gesellschaft nicht“, sagt Priyanka Datta, Sprecherin des TV-Senders von Zindagi, bei dem die Serien laufen. Die meisten Menschen in Indien würden weder pakistanische Literatur noch Mode-Trends kennen. „Für sie ist alles einfach feindliches Gebiet, Kricket ausgenommen.“ Pakistanis dagegen schauten oft Bollywood-Filme und hörten indische Musik.
Im Vergleich zu den 600 Millionen Zuschauern, die sich auf dem Sender Star Plus indische Serien angucken, sind es mit 33 Millionen Zuschauern nicht sonderlich viele, die der Zindagi mit den pakistanischen Serien erreicht. Die breite Masse zu erreichen, sei auch nie das Ziel gewesen, sagt Datta. Aber die Resonanz bei Facebook und Twitter sei enorm.
Gursharan Singh und seine Frau Satinder Kaur leben in Amritsar, einer Stadt im indischen Punjab, nur etwa 30 Kilometer von der Grenze mit Pakistan entfernt. Auch sie schauen jeden Tag die Soaps aus dem Nachbarland. Vor der Teilung lebte die Familie im nun pakistanischen Lahore. „Es ist alles so vertraut, aber die Städte sehen jetzt anders aus“, sagt Singh.
Der Fernsehsender scheint den Blick über die Grenze zu ermöglichen. Längst ist der pakistanische Schauspieler Fawad Afzal Khan ein Frauenschwarm in Indien und spielt die Hauptrolle in einem Bollywood-Film. Als Zindagi im Juni 2014 zu senden begann, stellten sich die Verantwortlichen auf viel Kritik ein. Doch die Reaktionen waren überwiegend positiv. „Wir finden die Zuschauer sehr reif und intelligent“, sagt Datta. „Vielleicht waren sie das schon immer und wir haben sie unterschätzt.“
[Sunrita Sen]
Bildquelle:
- Medien_Maerkte_Artikelbild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com