„Unsere Arbeit wird nicht angemessen gewürdigt“, klagt der geschäftsführende Vorsitzende der AG Dok, Thomas Frickel. Die Klage richtet sich an die ARD speziell, an die TV-Sender im Allgemeinen. Dokumentationen waren das zweite, große Kritikthema am neuen Programmschema der ARD.
Dokumentationen und Reportagen sind Markenzeichen
Der Senderverbund beteuert, dass er keine Dokumentationssendeplätze gestrichen habe. 250 Sendeplätze im Jahr seien vorgesehen, versprach Volker Herres. Das seien so viele wie in den Jahren zuvor. „Schließlich sind Dokumentationen und Reportagen eines unserer Markenzeichen und wir legen großen Wert auf diese Informationskompetenz“, erklärt ARD-Sprecher Burchard Röver.
Thomas Frickel steht diesem Versprechen kritisch gegenüber. Dann dazu müsse erst einmal festgestellt werden, wie viele Dokumentations-Sendeplätze es vorher im ARD-Programm gab. Außerdem komme es nicht nur, auf die Anzahl der ausgestrahlten Programme an, sondern auch auf die Uhrzeit sowie die Länge der Sendungen. „Je später die Ausstrahlung, desto rapider sinkt die Zuschauerbeteiligung und damit die Reichweite“, erklärt der Chef der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm.Der verfluchte dritte Sendeplatz
„Deshalb kann ich mit dem Versprechen von Herrn Herres wenig anfangen“, so der Dokumentarfilmer. Zumal, so Frickel, die Dokumentationen in der Programm-Statistik zum Bereich Information gehören. In diesen fallen jedoch auch Talks und sogar Kochshows. „Das Wort ‚Dokumentarfilm‘ kommtin der Statistik überhaupt nicht vor“, erklärt der AG-Dok-Vorstandsvorsitzende. Es ist also nicht einfach, tatsächlich festzustellen, wie weit das Engagement der ARD für das Genre geht.
Fakt ist jedoch, dass eine 45-Minuten Dokumentation in der Woche wegfällt. Vor der Reform des ARD-Programms wurden am Montag um 20.15 Uhr und 21.00 Uhr sowie mittwochs um 23.15 Uhr drei 45-minütige Dokus ausgestrahlt. Seit September zeigt Das Erste nur noch montags um 20.15 Uhr und 22.45 Uhr jeweils eine 45-minütige Dokumentation. Dazu sollen, wie auch in der Vergangenheit, 90-minütige Dokumentationen in der Talkpause im Sommer gezeigt werden. Dazu habe der Senderverbund „auch jetzt schon über das ganze Jahr hinweg Möglichkeiten, im Vertrauten auch mal unkonventionell zu programmieren, und das wollen wir künftig verstärken“, verspricht Röver.„Formatierte“ Dokumentation vs. Dokumentarfilm
Genau das erhofft sich Thomas Frickel von der ARD. Zum Beispiel wünscht er sich, dass Das Erste nicht nur nach einem festen dramaturgischen Schema“formatierte“ Dokumentationen zeigt– dennihnen fehle oft das, was einen Dokumentarfilm ausmache. „Dokumentarfilme gehen nicht von einem bestimmten vorher festgelegten Ergebnis aus, sondern sie bleiben offen für überraschende Wendungen, sollen den Zuschauer anregen und die Möglichkeit geben, sich selbst eine Meinung zu bilden“, erklärte der AG-Dok-Geschäftsführer.
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten würden ihre Gebühren bekommen,um Dinge realisieren zu können, die im Privatfernsehen nicht möglich sind., führt Frickel aus. „Die ARD sollte deshalb weniger auf die Quote schauen und nicht nur in der Sommerpause, sondern wöchentlich langeDokumentarfilme zeigen“. Für den Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Dokumentation tragen „thematisch interessante, gut recherchierte und ästhetisch zupackende Bilder der Wirklichkeit“ dazu bei den „öffentlichen Diskurs zu unterlegen“. Dies sei eine zentrale Forderung an den öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrag. Beispiele wie die Ausstrahlung von „Fahrenheit 9/11“, der auf ProSieben ausgestrahlt wurde, hätten schließlich gezeigt, dass man mit Dokumentarfilmen durchaus das Publikum erreichen kann – und zwar zur besten Sendezeit.Geringschätzung der Branche
Die Öffentlich-Rechtlichen benehmen sich wie auf dem freien Markt – nur viel feiger“, schimpft der Dokumentarfilmer. „Dabei liegen sie – vor allem mit der neuen Haushaltpauschale – in einem gut gepolsterten ‚Gebührenbett‘ und sind unabhängig davon, wie viel Zuschauer einschalten“. Die AG Dok plädiere seit Jahren dafür, dass die ARD einen quotenfreien Tag einrichtet – und einen regelmäßigen Platz für 90-Minuten-Dokumentationen. „Warum kann man nicht auch mal eine lange Dokumentation um 22.15 Uhr zeigen?“, fragt Thomas Frickel. „Dafür würde die ARD sogar Beifall bekommen“.
Doch nicht nur die Quoten-Manie ärgert den Dokumentarfilmer. Sehr viel mehr regt ihn die „Geringschätzung der Dokumentarfilme“ auf. Dies zeige sich nicht nur in der Programmierung, sondern auch in der finanziellen Ausstattung der Produktionen. „Nichts ist so schlecht bezahlt, wie kreative dokumentarische Leistung“, erklärt der Geschäftsführer der AG Dok und verdeutlicht: Eine 90-Minuten-Dokumentation koste im Schnitt zwischen 150 000 und 300 000 Euro. Dass eine ARD-Redaktion davon bestenfalls noch 30 000 Euro finanziert, sei für viele Produktionen inzwischen fast schon der Regelfall – und das bei einem Budget von etwa 7,5 Milliarden Euro.
„Sie bezahlen häufig nicht einmal, was der Film kostet und sichern sich aber gleichzeitig die Rechte für alle Übertragungswege“, so Frickel. Viele Produzenten würden zudem beklagen, dass die Sender nur noch dreißig oder vierzig Prozent der tatsächlichen Kosten übernehmen – und trotzdem dreist von „Auftragsproduktionen“ sprechen. Ein ganze Reihe von Kosten werde einfach nicht anerkannt – oder diktatorisch auf einem Niveau eingefroren, das noch nicht einmal kostendeckend sei.Das Privileg der Existenz
Ob das Versprechen von Volker Herres eingelöst wird, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Einen kleinen Sieg konnte der Dokumentarfilmer aber erzielen. Nach der Veröffentlichung des neuen ARD-Programmschemas hatten sich verschiedene Kritiker dem Protest der AG Dok angeschlossen. Darunter waren die beiden Rundfunkanstalten MDR und BR. Die Heftigkeit, mit der protestiert wurde, habe den Programmdirektor zumindest gezwungen, sich zu rechtfertigen. Ob dieser Protest von Erfolg gekrönt sein wird, werde die Zukunft zeigen.
In der vergangenen Woche haben die Dokumentarfilmer einen weiteren Gleichgesinnten dazu bekommen. Die Produzentenallianz hat eine Sektion Dokumentarfilm gegründet, um auf die Position der Brancheaufmerksam zu machen. Sie wollen –wie die AG Dok- unter anderem auf die geringe Bezahlung aufmerksam machen und kämpfen für bessere finanzielle Mittel.
Aber auch „die Zuschauer müssen weiterhin die Qualität einfordern“, fügt Thomas Frickel hinzu. „Damit die Unterscheidbarkeit der Öffentlich-Rechtlichen nicht verwischt wird“. Denn nur dann könne die ARD weiter auf das Privileg ihrer Existenz und der Rundfunkgebühren pochen.
DIGITAL FERNSEHEN stellt Ihnen an dieser Stelle immer am Montagvormittag das aus Sicht der Redaktion interessanteste Thema des Monats vor. Im August stand das Thema Jugendschutz in Heimkino und Fernsehen im Mittelpunkt. In diesem Monat widmen wir uns dem neuen ARD-Programm. Nach dem heutigen Überblick liegt im zweiten Teil der Fokus auf den viel diskutierten Talks. Thema des Monats: ARD-Programmschema
Thema des Monats im Überblick
[Jana Skoupy]
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