Ein Gutachten für den Brandenburger Landtag stellt den Medien im Land ein schlechtes Zeugnis im Umgang mit ihrer Vergangenheit aus. Doch schon vor der Veröffentlichung gibt es heftige Kritik an Methodik und Ergebnis.
Die 129 Seiten dicke Studie über die Entwicklung der Medien in Brandenburg nach der Wende ist noch nicht veröffentlicht, aber bereits großes Gesprächsthema. In dem Gutachten im Auftrag des Landtags, das in Potsdam kursiert und am Freitag öffentlich in einer Enquete-Kommission beraten wird, beklagt die Journalistin Ariane Mohl, viele Verlage hätten Probleme mit belasteten Journalisten ausgesessen statt aufzuarbeiten.
„Weder im Land Brandenburg noch in den anderen ostdeutschen Bundesländern hat es nach dem Zusammenbruch der DDR eine publizistische ‚Stunde Null‘ gegeben“, heißt es darin. „Kein Journalist musste berufliche Nachteile befürchten, weil er in der SED gewesen war und in seinen Artikeln jahrelang brav die Linie der Partei vertreten hat“.
In Brandenburg wird derzeit – zwanzig Jahre nach der Wende – die Vergangenheit im Landtag groß aufgearbeitet. Wegen eines umstrittenen Gutachtens, das dem Land große Lücken bei der Stasi-Überprüfung bescheinigt und in dem auch der milde Umgang mit dem früheren Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) kritisiert wird, ist die Stimmung bereits gereizt. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) verteidigte Stolpe und warf der Opposition vor, die Aufarbeitung der Geschichte für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Nun geht es um die Rolle der Medien. Noch vor einigen Tagen beklagte die „Süddeutsche Zeitung“ das Schweigen der Brandenburger Zeitungen zu dem brisanten Stoff. Doch seither gab es einige Artikel dazu. In der „Märkischen Oderzeitung“ setzt der stellvertretende Chefredakteur Peter Philipps auf die Lernfähigkeit der Menschen und kommentiert: „Leider aber schimmert immer und überall die Auffassung der Gutachterin durch, am besten hätte man die ganze ehemalige DDR leergezogen und unbelastete Menschen hier ein Paradies aufbauen lassen… Einmal SED-Zeitung, immer SED-Zeitung – das ist ganz kleines Karo“.
In der Studie heißt es, die Tagespresse habe die von der SED geschaffenen Strukturen und die Journalisten weitgehend übernommen. „Streng genommen waren die in Leipzig ausgebildeten Ost-Redakteure gar keine Journalisten, sondern Sprachrohre bzw. Pressesprecher der sozialistischen Einheitspartei“, schreibt Mohl. Die meisten Redakteure hätten trotzdem weiterarbeiten können, allenfalls seien Chefredakteure ausgetauscht worden.
Die „Märkische Allgemeine Zeitung“ (MAZ), die schlecht in dem Gutachten wegkommt, beklagt, dass ausgerechnet eine ehemalige Volontärin des Blattes, die nicht übernommen wurde, das Papier erstellt hat. „Auf diese Idee wären wir nicht gekommen“, heißt es auf einer Sonderseite der MAZ über Auswahl der Gutachterin. „Das vorliegende Gutachten enthält zu einem nicht unerheblichen Teil eine Ansammlung von Behauptungen und Wertungen ohne jeden ernsthaften Beleg“.
MAZ-Chefredakteur Klaus Rost stört die Kritik, dass es keine „Stunde Null“ gegeben habe. „Der Vorwurf ist – mit Verlaub – blanker Unsinn. Am 3. Oktober 1990 hat es weder eine bedingungslose Kapitulation gegeben noch standen die DDR und die Bundesrepublik Deutschland unter Kuratel der Siegermächte“. Auch die stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Ulrike Kaiser, meint: „Eine publizistische ‚Stunde Null‘ kann es in keiner Situation geben; es wird immer mit Strukturen und mit Menschen gearbeitet, die ihre Erfahrungen mitbringen. Wirkliche Stasi-Verstrickungen werden ohnehin immer enttarnt, früher oder später.“
Allerdings betont Kaiser auch: „Wenn das Gutachten festgestellt hat, dass im Einzelfall Themen in der Berichterstattung ausgeblendet werden, dann ist das publizistisch nicht hinnehmbar“. Rost verweist darauf, dass eine flächendeckende Stasi-Überprüfung gar nicht möglich gewesen sei. „Das Stasi-Unterlagengesetz erlaubt allein die Überprüfung leitender Redakteure“. Die Kritik an der Weiterbeschäftigung der Journalisten schließe mit ein, dass es auch ganz anders möglich gewesen wäre, meint Rost. „Doch auch das ist Unsinn“. Jeder Mitarbeiter habe von Anfang an arbeitsrechtlichen Schutz genossen. [Rolf Westermann]
Bildquelle:
- Medien_Maerkte_Artikelbild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com