Lutz Seilers Roman „Kruso“ erzählt von den Aussteigern und Nicht-Angepassten in der DDR. Von denen, die die Enge nicht ausgehalten haben. Die Verfilmung kommt jetzt ins Fernsehen – gut so.
„Kruso“ ist ein Roman von Lutz Seiler über ein in Ost und West immer noch emotionales Thema. Es geht um die Menschen, die es in der DDR nicht mehr ausgehalten haben und die bereit waren, bei der Flucht über die Ostsee ihr Leben zu riskieren. Und es geht um die Insel Hiddensee, westlich von Rügen, die in der DDR ein Treffpunkt der Nicht-Angepassten war, der Andersdenkenden und Andersfühlenden, die sich der SED-Ideologie nicht beugten und dem „Neuen Deutschland“ keinen Glauben schenkten, die Westradio hörten und den Konflikt mit Inselautoritäten und Grenzsoldaten nicht aus dem Weg gingen.
Es geht auch um die letzten Monate der DDR, in der dort alle Gewissheiten aus 40 Jahren Sozialismus ständig an Bedeutung verloren. Es ist eine vielschichtige, facettenreiche Geschichte, die der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) und die Produktionsfirma UFA Fiction nun verfilmt haben. Ein Wagnis. Das Erste zeigt „Kruso“ an diesem Mittwoch um 20.15 Uhr. Lutz Seiler hat 2014 den Deutschen Buchpreis für „Kruso“ bekommen. Und so wie sich die Geschichte einerseits zur Verfilmung anbietet, stellt sich andererseits die Frage „Wie soll das gehen?“
Seiler hat im Sommer 1989 selbst im „Klausner“ auf Hiddensee als Saisonkraft gejobbt – so wie Ed (Jonathan Berlin), die Hauptfigur des Romans und des Films. Ed, Germanistikstudent aus Halle, fährt nach Hiddensee, nachdem seine Freundin ums Leben gekommen ist, von der er immer noch und immer wieder träumt.
Es ist der Sommer, in dem immer mehr DDR-Bürger ihr Land verlassen wollen, vor dem Herbst, in dem die Mauer fällt. Auch auf Hiddensee, wo das Politbüro, die österreichisch-ungarische Grenze und die Montagsdemonstranten in Leipzig gefühlt weit weg sind, bringen die politischen Entwicklungen den Mikrokosmos, in den Ed geraten ist, schließlich völlig durcheinander.
Ed hat sich der Gruppe von Alexander „Kruso“ Krusowitsch (Albrecht Schuch) angeschlossen. Die „Schiffbrüchigen“ arbeiten im „Klausner“, einer Gaststätte im Norden der kleinen Insel. Es ist eine verschworene Gemeinschaft von Individualisten, die zusammen diskutieren, streiten, verzweifeln und Hoffnung schöpfen.
Es sind Menschen mit Eigenheiten und Eigensinn, der intellektuelle Rimbaud – eine tolle Rolle für Peter Schmidt – und der Koch Mike (Thomas Lawinsky) zum Beispiel. Andreas Leupold als „Klausner“-Chef Krombach ist der Kopf der Gruppe, Kruso das Herz. Der Sohn eines russischen Generals lebt bereits seit fast zwei Jahrzehnten auf Hiddensee. Zischen ihm und Ed gibt es sofort eine ungewöhnliche Nähe – schon durch die gemeinsame Liebe zur Literatur.
Kruso hat eine Mission: Er kümmert sich um die Menschen, die aus Verzweiflung über die politischen Verhältnisse nach Hiddensee kommen, die mit dem Gedanken spielen, aus der DDR zu fliehen, über die Ostsee nach Dänemark, mit allen Risiken, die damit verbunden sind. Er will sie dazu bringen darüber nachzudenken, was Freiheit wirklich ist. Aber nachdem der Grenzzaun zwischen Ungarn und Österreich geöffnet wird, suchen bald nur noch wenige Krusos Hilfe. Am Schluss verschwinden nach und nach auch die Mitarbeiter des „Klausner“, nur Kruso und Ed bleiben zurück.
Es ist eine große Geschichte, die Seiler da erzählt. Und es ist ein starker Film (Regie: Thomas Stuber) geworden, auch wenn er viele Facetten der Romanvorlage ausblendet und das Drehbuch von Thomas Kirchner die Handlung immer wieder verschlankt und vereinfacht. Die Rollen sind perfekt besetzt. Vor allem Albrecht Schuch und Jonathan Berlin schaffen es eindrucksvoll, ihre nicht ganz einfachen Charaktere glaubwürdig darzustellen.
Berlin war erst im März in „Die Freibadclique“ zu sehen, auch ein herausragender Film im Ersten, in dem er als Teenager im letzten Sommer des Zweiten Weltkriegs eine der Hauptrollen spielte. Ed ist eine ganz ähnliche Figur: nachdenklich, sensibel, individualistisch, pathosfrei, suchend. Und Berlin ist genau der richtige dafür.
„Brauchen wir wirklich noch einen Film über das Ende der DDR? Ist nicht schon alles über die Wende und das Jahr 1989 gesagt?“, hat sich MDR-Intendantin Karola Wille während der Dreharbeiten gefragt. Aber das war wohl eher rhetorisch gemeint. Und sie hat ja auch recht: Solche Stoffe, solche Filme bräuchte man, auch fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR, noch viel mehr. [Andreas Heimann]
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