
In Lille trifft sich die TV-Branche und es geht um Serien. Auch beim Grimme-Preis war der Serien-Boom zu spüren, der klassische Fernsehfilm ging leer aus. Steht die Kunstform vor dem Aus?
Der Grimme-Preis gilt seit Jahrzehnten als Fieberthermometer des deutschen Fernsehens. Da lässt diese Nachricht aufhorchen: Kein einziger Fernsehfilm hat 2025 eine Trophäe in der Kategorie Fiktion geholt.
Die Serienmacher haben jetzt auch Asterix
Das gab es in mehr als 60 Jahren Grimme-Preis noch nie. Seit die renommierte Auszeichnung vergeben wird, wurden bisher immer auch 90-Minüter etwa in Form von Dramen, Komödien oder Historienfilmen als vorbildhaft geehrt. „Das hat natürlich auch mit dem Serien-Boom zu tun“, sagt die Leiterin des Grimme-Preises, Lucia Eskes, im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Marl.
Und dass dieser Serie-Boom nach wie vor kein Ende nimmt, zeigt seit Freitag auch das Festival Series Mania in Lille einmal mehr. Rund 50 neue Reihen werden in Nordfrankreich vorgestellt, etwa eine animierte „Asterix“-Staffel von Netflix, die deutsch-spanische Produktion „Weiss & Morales“ über ein länderübergreifendes Ermittlerduo oder die US-israelische Serie „The German“ mit Oliver Masucci, in der es um die Jagd auf Nazis in den 70er Jahren geht.
Allerdings, dass in Deutschland diesmal so wenige TV-Filme von den Juroren ausgezeichnet wurden, kann nicht nur an diesem Trend oder der schieren Zahl liegen. Vor allem bei den Senderfamilien von ARD und ZDF gibt es zahlreiche Sendeplätze zur besten Zeit um 20.15 Uhr, auch manche Private legen nach.
Gesellschaftliche Themen im Fernsehfilm? Fehlanzeige
Eskes hat einen Rückgang bei der Qualität beobachtet: „Denn jeder Film für den Sendeplatz um 20.15 Uhr muss 88,30 Minuten lang sein. Schon dieser starre Zeitrahmen führt sehr oft zu einer Formatierung der Dramaturgie, was die Handlung erwartbar und langweilig macht, weil man nach fünf Minuten weiß, wie sich die Geschichte entwickeln wird.“
Früher seien außerdem oft „brennende, gesellschaftliche Themen behandelt“ worden. Diese fänden sich heute hauptsächlich in den Krimi-Formaten wieder, wo man solche Themen allerdings nicht sinnvoll bearbeiten könne.
Die Grimme-Preis-Chefin bemängelt den fehlenden Mut, „Diskussionen über schwierige Themen auszuhalten und Stoffe zu bringen, die Haltung zeigen sowie Kontroversen auslösen“.
„Das kann nicht die Antwort sein“
Der Kieler Medienwissenschaftler Hans Jürgen Wulff teilt diese Beobachtung und mahnt mit Blick auf allzu gefällige Geschichten, die etwa in skandinavischen Gefilden spielen und nicht mehr als erwartbare Happy Ends der Akteure garantieren:
„Das kann nicht die Antwort sein“, betont Wulff. Denn fiktionale Stoffe, in denen gesellschaftspolitische Probleme verhandelt werden, seien in der heutigen Zeit notwendiger denn je. „Die neoliberale Idee, dass der Markt das Angebot regeln soll, ist hier fehl am Platz“, kritisiert der emeritierte Professor für Medienwissenschaften.
Liegt es am Geld?
Produzent Nico Hofmann („Unsere Mütter, unsere Väter“) weist darauf hin, dass früher für bestimmte Fernsehspiel-Projekte Budgets von fünf bis sechs Millionen Euro investiert werden konnten: „Das ’normale‘ Budget für einen TV-Movie beträgt heute um die zwei Millionen Euro.“
Für WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn bleibt das Format des Fernsehfilms allerdings „zeitlos“ – „auch wenn Jurys und Öffentlichkeit ihren Blick in den letzten Jahren besonders auf Serien gelenkt haben“, so Schönenborn auf dpa-Nachfrage.
Der Fernsehfilm erfülle das Bedürfnis des Publikums, sich einem Sujet in überschaubarer Zeit zu widmen: „Anders als bei der Serie kann ich als Zuschauer sicher sein, dass meine Aufmerksamkeit für einen Abend ausreicht.“ Im Januar etwa habe ein WDR-Fernsehfilm über Genmanipulation, „Helix“, nach dem Roman von Marc Elsberg mehr als vier Millionen Zuschauer erreicht.
Trotz dieser Beispiele befürchtet Grimme-Preis-Chefin Eskes, dass „diese künstlerische Ausdrucksform zunehmend verloren“ geht: „Der Fernsehfilm wird als Kunstform verschwinden, wenn wir nicht dagegenhalten.“ Sie wünscht sich vor allem, „dass neue, junge Zielgruppen erschlossen werden“.
Text: dpa/ Redaktion: JN
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