
Leipzig – Zur IFA kritisierte die Medienexpertin in Steinmeiers Wahlkampfteam, Barbara Kisseler, die Signalschutz Pläne des Privat-TVs. DIGITAL FERNSEHEN hakte bei der Chefin der Berliner Staatskanzlei nach.
DIGITAL FERNSEHEN: Frau Kisseler, welche „öffentliche Aufgaben“ hat aus Ihrer Sicht der private Rundfunk?
Barbara Kisseler: Die duale Medienordnung in Deutschland ist historisch gewachsen. Ein wesentliches Merkmal der deutschen dualen Medienordnung ist das Nebeneinander eines öffentlich-rechtlichen, gebührenfinanzierten und eines privaten, werbefinanzierten Medienangebots. Die rechtliche Absicherung der dualen Medienordnung ist maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt worden. Sie geht davon aus, dass besondere Vorkehrungen zur Verwirklichung und Aufrechterhaltung der in Artikel 5 GG gewährleisteten Freiheit des Rundfunks notwendig sind. Der gesamte Rundfunk bedarf daher einer gesetzlichen Ordnung, die sicherstellt, dass er seinen Beitrag für den verfassungsrechtlich konstitutiven Prozess der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung erfüllt.
Diese Ordnung muss garantieren, dass der Rundfunk weder dem Staat noch einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird, sondern die Vielfalt der Themen und Meinungen aufnimmt und wiedergibt, die in der Gesellschaft insgesamt eine Rolle spielen ; sie muss eine freie und umfassende Berichterstattung gewährleisten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil am 11. September 2007 ausdrücklich bestätigt und zugleich einmal mehr auf die Defizite einer reinen Marktsteuerung hingewiesen und die Notwendigkeit von spezifischen Regelungen für das gesamte Rundfunksystem deutlich gemacht. Rundfunk als öffentliche Aufgabe ist dabei nie einseitig als Sache des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesehen worden, sondern gilt – zumindest abgestuft – auch für private Programme, die dieser öffentlichen Aufgabe auch gerecht werden müssen. Der öffentliche Auftrag für den privaten Rundfunk ergibt sich aus dem Rundfunkstaatsvertrag und den Landesmediengesetzen. Dies wird auch daran deutlich, dass die Lizenzen der privaten Rundfunkanbieter – anders etwa als bei den reinen Pay-TV-Anbietern – an konkrete Bedingungen und Auflagen geknüpft sind wie zum Beispiel freie Empfangbarkeit, Vollprogramm oder Beitrag zur umfassenden Meinungsbildung. Hierbei hat der Gesetzgeber nicht die gleichen hohen Anforderungen an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt gestellt, wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber diese Erleichterungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur hinnehmbar, solange und soweit wirksam sichergestellt ist, dass die unerlässliche Grundversorgung der Bevölkerung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohne Einbuße erfüllt wird. Der Begriff der Grundversorgung bezeichnet dabei weder eine Mindestversorgung, auf die der öffentlich-rechtliche Rundfunk beschränkt ist oder ohne Folgen für die Anforderungen an den privaten Rundfunk beschränkt werden könnte, noch nimmt er Grenzziehung oder Aufgabenteilung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern etwa in dem Sinne vor, dass die öffentlich-rechtlichen Veranstalter für den informierenden und bildenden und die privaten Anbieter für den unterhaltenden Teil des Programmangebots zuständig wären. Vielmehr ist es auch die öffentliche Aufgabe des privaten Rundfunks, einen Beitrag zur umfassenden Meinungsbildung – und das schließt Information und Unterhaltung ein – zu leisten.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Argumentation der privaten Rundfunkanbieter im Rahmen des EU-Beihilfekompromisses. Gerade hier haben sie ihren Beitrag für die gesellschaftliche Meinungsbildung auf den Gebieten Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung herausgestellt und eine Verbesserung ihrer Stellung im Vergleich zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk angemahnt. Insbesondere haben die privatwirtschaftlichen Rundfunkanbieter eine Benachteiligung ihrer frei empfangbaren Rundfunkprogramme durch die Ausweitung der Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beklagt. Im Rahmen des Beihilfekompromisses hatte Deutschland gegenüber der EU-Kommission zugesagt, dass neue oder veränderte Online-Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dahingehend überprüft werden müssen, ob das Angebot zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehört, ob es zum publizistischen Wettbewerb beiträgt und welche marktlichen Auswirkungen es auf die vorhandenen frei zugänglichen Angebote gibt. Dies setzt aber voraus, dass ein solches frei zugängliches Angebot überhaupt gibt. Auch bleibt schließlich zu fragen, ob es sich bei der Einführung einer neuen Übertragungstechnologie, die in kurzer Zeit der Regelstandard sein wird, tatsächlich um neue „Geschäftsmodelle“ handelt.
DF: Welchen Beitrag muss der Staat Ihrer Meinung nach zur Finanzierung dieser „öffentlichen Aufgaben“ leisten?
Kisseler: Ein wesentliches Merkmal der deutschen Medienordnung ist das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem, gebührenfinanziertem und privatwirtschaftlichem, werbefinanziertem Rundfunk. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind, wie bereits dargestellt, besondere Vorkehrungen zur Verwirklichung und Aufrechterhaltung der in Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Freiheit des Rundfunks notwendig – dies ist die Aufgabe des Staates. Zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit in der dualen Rundfunkordnung gehört auch die Sicherung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter Einschluss seiner bedarfsgerechten Finanzierung. Die Hauptfinanzierungsform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die Rundfunkgebühr. Eine Aufgabe des Staates zur Finanzierung des öffentlichen Auftrages des privaten Rundfunks sehe ich nicht. Der Beitrag des privaten Rundfunks zur Meinungsbildung wird im Übrigen bereits mit entsprechenden Privilegien in Rechnung gestellt, wie zum Beispiel durch den Must-Carry-Status privater Vollprogramme bei der Plattformbelegung und der bevorrechtigten Nutzung von Frequenzen beispielsweise gegenüber dem Mobilfunk.
Die Rechtfertigung für diese Privilegien entfiele allerdings, wenn sich privater Rundfunk zukünftig seiner gesellschaftlichen Verantwortung vollständig entsagen wollte.
DF: Frau Kisseler, vielen Dank für das Gespräch[fp]
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