[Portrait] Christian Seidel: Ex-Kirch-Manager entdeckt das Leben neu

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Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com
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Manager, Partylöwe, Frauenheld: Christian Seidel war in der Medienbranche der schillernde Karrierist, auf das jedes Klischee passte. Doch ein Autounfall und die Begegnung mit der Kampfsportart Taekwondo veränderten sein umtriebiges Leben nachhaltig.

Irgendwo am Gardasee im Jahr 2003: Die Räder drehten sich noch, als Christian Seidel die Augen aufmachte. Er erblickte einen blauen Schmetterling.  Der Sportwagen, wird später rekapituliert, musste sich mehrfach überschlagen haben, bevor er unterhalb der Böschung auf dem Dach liegengeblieben war. „Mein Gefühl für Zeit und Raum schien sich aufgelöst zu haben“, beschreibt der heute 51-Jährige seine Erinnerung. Er war zwar nahezu unverletzt, die Seele war jedoch auf Reset eingestellt.

Fest stand für den mondänen Großstädter aus München mit Wohnsitzen in der Landeshauptstadt und in Italien: Das Leben auf der Überholspur musste ein Ende nehmen. Und wie hatte er das genossen – Seidel war jahrelang Manager von Supermodel Claudia Schiffer, er ebnete die Karriere von Talkmasterin Arabella Kiesbauer, er galt im Konzern des Medienmoguls Leo Kirch als Hoffnungsträger für die Führungsebene. Er promotete André Hellers Show „Luna Luna“, und er drehte auch einen Film, aber dann? Die große Leere? Irgendwie ja.

Taekwondo lautete sein Schlüsselwort. Viele alte Weggefährten, die Seidel mit der – falls im Einzelfall mal nötigen – Mischung aus feiner Ironie und dem Hauch von Arroganz begegnete, mögen angesichts des neu erschienenen Ratgeberbuchs „Gewinnen ohne zu kämpfen“ müde lächeln. Seidel und Taekwondo? Wie passt das zusammen? Doch, er meint wirklich die asiatische Kampfsportart, die doch nur eine Form der Selbstverteidigung ist. Keine Millionen-Deals mehr, sondern nacktes Holz unter schwieligen Füßen.

Doch auch dort, in dieser völlig anderen Welt im südkoreanischen Trainingslager, erwischt sich der Mann, der immer gelernt hat, seine Gefühle zu ignorieren und sich zu verstellen, bei der Selbstüberlistung: Sein Geltungsbedürfnis sei mit ihm „wie ein Pfeil aus einem heillos überspannten Bogen“ losgeschossen, berichtet der gelernte Journalist, der beim „Schweizer Sonntagsblick“ volontierte. Denn seine Gegnerin, eine flinke versierte junge Koreanerin, landete einen Volltreffer in Seidels grenzenloser Eitelkeit.

Mit superschnellem Reflex und knallhartem Handwerk beförderte ihn die drahtige Frau „in die glitschige Pfütze meines eigenen Schweißes“, nachdem er noch Sekunden vorher während des Kampfes darüber sinniert hatte, wie er sie zum Abendessen verführen könnte – so ganz der Seidel, lässig mit Zigarre in der einen Hand und mit einem Schwenker voller Cognac in der anderen. Sein Meister, Ko Eui-Min, hatte kaum Mitleid für ihn übrig: „Sind in deiner Welt alle so größenwahnsinnig wie du?“

Viele vermutlich ja, Seidel ist ja nur einer aus dieser Welt, die voller Überholspuren ist, die aber meistens in Sackgassen enden. Sein Leben hat er geändert, er lässt es ruhiger angehen. Entschleunigung würden viele sagen, so drückt er das aber nicht aus. „Gewinnen ohne zu kämpfen“ lautet sein Credo, das etwas verstaubt und nach Ladenhüter in einem Sachbuchantiquariat klingt, aber vielen Zeitgenossen aus dem Herzen sprechen könnte: Respekt, Achtsamkeit, Disziplin und Integrität sind Seidels neu entdeckte Werte.

Etwas alte Welt darf in der neuen aber auch noch Bestand haben: Gutes Essen und ein edler Tropfen gehören immer noch dazu. Und das Bad in der Menge, die sich zu organisierten Lesungen einfindet, tut auch der Seele gut.PORTRAITS im Überblick

[Carsten Rave/ar]

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