In der Fernsehproduktion sind die Übertragungen über den klassischen Ü-Wagen noch Standard, doch mit der IP-basierten Remoteübertragung steht bereits eine neue Lösung in den Startlöchern. Jens Friedrichs, Managing Director Production bei Plazamedia, erklärt gegenüber DIGITAL FERNSEHEN, wie die Zukunft der TV-Übertragung aussieht.
Die Fernsehproduktion verändert sich. Wie man hört braucht Plazamedia neuerdings nicht mal mehr Ü-Wagen für Übertragungen. Wie kam es dazu? Wer hatte die Idee, dass man auf die herkömmlichen Übertragungswagen verzichten kann?
Jens Friedrichs: Kaum ein Thema bewegt die Produktionsbranche aktuell so stark wie innovative Remotelösungen. Während vielerorts noch die Diskussion um ihre Potenziale im Vordergrund steht, bietet Plazamedia ihren Kunden nun in der Tat auch konkrete Lösungen. Seit Ende August setzen wir Remote bei jeder Liveproduktion des sonntäglichen Sport1 Talk-Formats „Der Volkswagen Doppelpass“ ein. Remoteproduktionen ersetzen herkömmliche Studio- und Ü-Wagenproduktionen nicht grundsätzlich. Sie sind eine weitere Alternative. Wir bieten unseren Kunden daher alle drei Produktionsformen an und können sie individuell an die spezifischen Anforderungen unserer Kunden anpassen oder auch verbinden.
Und wie funktioniert das Prinzip nun genau?
Friedrichs: Bei einer Remoteproduktion kommt deutlich weniger Technik vor Ort zum Einsatz; zentrale Regiefunktionen werden im Sendezentrum wahrgenommen. Hierzu werden die Bildsignale in IP-Signale umgewandelt, über sehr breitbandige Verbindungen ins Sendezentrum übertragen und dort zurückgewandelt und weiterverarbeitet.
Während die klassische Ü-Wagen-Produktion zuweilen schon natürliche räumliche Grenzen für Equipment und Anwendungen setzt, können wir mit der Remote-Anbindung unseres Sendezentrums in Ismaning verschiedenste Ressourcen und Mehrwertservices direkt in die Produktion integrieren. So erlaubt die parallele Übertragung mehrerer Signale ins Sendezentrum eine unter anderem erweiterte Archivierung und Highlight-Erstellung. Remote-Produktionen zeichnen sich so durch eine hohe Flexibilität und Effizienz aus.
Zudem ermöglicht die Remoteproduktion völlig neue Workflows: Bei „Der Volkswagen Doppelpass“ beispielsweise haben wir das Bedienteil des Bildmischers und die Redaktion vor Ort in einem Konferenzraum untergebracht, während die übrige Technik in Ismaning verbleibt. So stellen wir sicher, dass Bildregie und Redaktion bis kurz vor der Sendung Absprachen direkt im Set vornehmen können.
Da alle benötigten Bildsignale, selbst mehrere Außenstellen gleichzeitig, in den Vorschaumonitoren vor Ort zu sehen sind, kann die Regiearbeit effizienter als in einem Ü-Wagen umgesetzt werden. Neben der technischen Signalbearbeitung führen wir auch Tonmischung, Serverzuspielung, Grafik und Aussteuerung der Kameras komplett in Ismaning durch.
Sie haben ja nun schon einige Wochen Live-Betrieb in der Praxis hinter sich. Vorteile liegen auf der Hand. Gibt es Nachteile?
Friedrichs: Nein. Bei „Der Volkswagen Doppelpass“ sind bereits in den ersten Sendungen klare Vorteile deutlich geworden: Die mehrfachen Direktverbindungen vom Schaltraum und die Nutzung einer File-basierten Infrastruktur erlauben uns jederzeit noch schneller auf aktuelle Ereignisse, etwa Pressekonferenzen oder Social Media Trends zu reagieren und diese in die Sendung einzubinden.
Seit August wird Remote nun zunächst beim Sport1 Doppelpass eingesetzt: Warum wurde diese Sendung ausgewählt?
Friedrichs: Remote eignet sich besonders für serielle Produktionen wie Talkshows mit fester Zeit und festem Ort. Zudem haben wir im Hilton Munich Airport, in dem die Livesendung stattfindet, ideale Bedingungen: Wir verfügen über eine redundante Anbindung mit höchster Betriebssicherheit zu unserem Sendezentrum in Ismaning. Die beiden Leitungen haben eine garantierte Datenübertragungsrate von zweimal 10 Gbit/s. Für die Verkabelung innerhalb des Hilton Hotels wurden im Rahmen einer Festinstallation verschiedene Glasfaserstränge und Anschlusskästen installiert. Damit ist auch der Aufbau des benötigten Equipments vor Ort sehr effizient und schnell durchführbar.
Wie fällt das bisherige Fazit über den Einsatz der Remote-Produktion bei Ihrem Kunden Sport1 aus? Merken die überhaupt einen Unterschied?
Friedrichs: Zum einen ist weniger Technik vor Ort im Einsatz, zum anderen sind wir in unserem Sendezentrum flexibler, um auf Geschehnisse außerhalb der Sendung zu reagieren. Damit erweitern sich auch für die Redaktion die Möglichkeiten, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren und diese in den Sendungsablauf zu integrieren.
Gab es denn überhaupt schon technische Schwierigkeiten bei den bisherigen Produktionen mit Remote? Wo liegen allgemein die größten Probleme bei der IP-basierten Übertragung?
Friedrichs: Bisher gab es keine technischen Schwierigkeiten. Unserer ersten Remote-Produktion ging eine intensive Erprobungsphase voraus. Dabei haben wir unterschiedliche Technologien, Methoden zur Signalübertragung, Betriebssicherheit und Steuerbarkeit der Systeme getestet und uns schließlich für eine IP-basierte Übertragungsart entschieden, die dem aktuellen Standard entspricht. Sie bietet eine redundante Übertragung von Signalen sowie eine ausfallsichere Übermittlung von Steuerungsinformationen.
Die Streams und Netzwerk-Komponenten steuern und überwachen wir über eine eigene graphische Benutzeroberfläche. Zusätzlich haben wir ein gängiges Broadcast-Steuerungssystem integriert. Damit ist Plazamedia für Remote bestens aufgestellt. Natürliche Grenzen bilden vor allem die Leitungsvoraussetzungen an vielen Veranstaltungsorten. Sie müssen so breitbandig sein, dass sich unsere Lösung problemlos und ausfallsicher realisieren lässt.
Wo soll die Produktionsform künftig noch angewendet werden? Gibt es neben Sport1 bereits weitere Interessenten an Remote-Übertragungen?
Friedrichs: Wir sprechen mit unseren Kunden stets über neue Produktionslösungen, darunter natürlich auch Remote. Remoteproduktionskonzepte eignen sich, wie gesagt, sehr gut für serielle Produktionen, bieten sich aber auch für Sportveranstaltungen an, sofern entsprechende Anbindungsmöglichkeiten vor Ort bestehen.
Für das ZDF wird die Champions League übertragen. Auch eine Remote-Produktion oder noch der klassische Ü-Wagen?
Friedrichs: Weiterhin mit Ü-Wagen, daran wird sich auch vorerst nichts ändern. Die Produktion eines solchen internationalen Sport-Großevents geht mit spezifischen Anforderungen einher und ist für Remote derzeit nicht geeignet.
Wie wird sich die Übertragungstechnik in Zukunft weiterentwickeln? Gibt es weitere Pläne von Plazamedia, die Fernsehübertragungen zu revolutionieren?
Friedrichs: Aufgrund unseres Leistungsportfolios und unserer Expertise sind wir in der Lage, neue technische Entwicklungen schnell und praxistauglich umzusetzen und mit Blick auf die Anforderungen und Wünsche unserer Kunden individuelle Lösungen zu entwickeln. Augmented Reality oder 4K sind aktuelle Themen, die zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen werden. Aber vor dem Hintergrund der wachsenden Fragmentierung medialer Distributionskanäle werden auch spezifische Lösungen wie cloudbasierte IT-Infrastrukturen für z.B. OTT- oder Social-Media-Plattformen vermehrt nachgefragt.
Vielen Dank für das Gespräch![buhl]
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