Ein Urgestein erfindet sich immer mehr neu: Was den Meisten als Otto-Katalog in Form eines faustdicken Printwerks in Erinnerung geblieben ist, hat längst den Weg ins Internet geschafft – und bekommt jetzt mit „Otto Retail Media“ eine neues Werbe- und Marketing-Triebwerk.
Zeiten ändern sich – und damit auch das Fernabsatzgeschäft: Nachdem der US-Handelsriese Amazon sich auch in Deutschland zum größten Online-Marktplatz gemausert hat und viele europäische Verbraucher dem chinesischen Widersacher Alibaba noch verhalten gegenüberstehen, schickt sich jetzt ein deutscher Versandhandels-Veteran an, Jeff Bezos das Spielfeld im Kontext Angebot und Retail-Marketing streitig zu machen:
Während der Online-Ableger des altbekannten Otto-Katalogs bereits seit Jahren in vielen Warenkategorien durchaus eine Alternative zu Amazon darstellt (und mit Bezahlung auf Rechnung sowie fairen Finanzierungsmodellen auch alternative Abläufe anbietet), fehlte dem Versandhändler im Vergleich zum amerikanischen Mega-Imperium längste Zeit noch die Breite des Warenangebots, die das weltweit agierende US-Unternehmen Amazon für große Teile der Verbraucher weiterhin zur ersten Anlaufstelle macht.
Das soll sich mit der voranschreitenden Wandlung des unilateralen Versandhauses zum Online-Marktplatz, die sich bereits seit 2018 vollzieht, weiter ändern – noch mehr Marken, Unternehmen und Verkäufer sollen in Zukunft ihre Angebotspalette direkt über den „Otto Market“ offerieren und damit das Otto-Angebot deutlich bereichern. Zudem werden im Gegensatz zur weit verbreiteten Wirtschaft mit Plagiaten und Produkten zweifelhaften Ursprungs bei Amazon wohl vergleichbar gehobene ethische Standards angelegt, denen Verkäufer am Online-Marktplatz der Otto Group gerecht werden müssen: Neben dem Verkauf von Echtpelzen ist auch der Handel mit Produkten aus sogenannten Sweatshops untersagt.
Mit „Otto Retail Media“ in die Zukunft
Zudem will das Unternehmen über seine neu aus der Taufe gehobene „Otto Retail Media“-Untergruppe Anbietern gezieltes Werben und Vermarkten über den großen Daten- und Kundenpool – laut Otto über 50 Millionen unique Users aus über 60 Onlineshops – ermöglichen.
Damit scheint eines klar zu sein: Statt in konservativer Zurückhaltung vor der internationalen Konkurrenz die Waffen zu strecken, verpasst sich die Otto-Gruppe eine Frischzellenkur und bläst zum Angriff auf Amazon. Was das für die User-Experience der im Geschäftsgebiet ansässigen Verbraucher bedeutet, bleibt erstmal abzuwarten. Sicher scheint nur, dass es sich bei Otto nicht um ein in die Jahre gekommenes Traditionsgeschäft, sondern um ein Unternehmen mit Zukunftsvisionen handelt, das gerade die Zündung einer großen neuen Trägerrakete vorbereitet.