Politisches Erdbeben in London: Die Festnahme seines früheren Kommunikationschefs reißt auch Premier David Cameron mit in den Strudel des Abhörskandals. Er will nun das Verhältnis von Politik und Medien grundlegend neu ordnen.
Der Abhörskandal um die Boulevardzeitung „News of the World“ bringt den britischen Premierminister David Cameron massiv unter Druck. Sein früherer Kommunikationschef Andy Coulson ist am Freitag festgenommen worden. Der konservative Cameron gestand zuvor Fehler ein und kündigte einen grundlegenden Umbau der Presseaufsicht an. Oppositionsführer Ed Miliband von der Labour-Partei zeigte sich über die Verstrickung des Premiers in dem Fall entsetzt.
Der Skandal drehe sich keinesfalls nur um eine einzige Zeitung und einen Journalisten, sondern auch um Polizei und Politik, betonte Cameron in London. „Wir stecken alle mit drin – die Presse, die Politiker, die Chefs aller Parteien, ich selbst inbegriffen“. Die Parteiführer seien so erpicht darauf gewesen, in der Gunst der Zeitungen zu stehen, dass sie wissentlich ignoriert hätten, wie bei einigen Blättern gearbeitet worden sei.
Cameron kündigte mehrere Untersuchungsausschüsse an. Möglichst bald werde er eine unabhängige Kommission einsetzen, die Vorschläge machen solle, wie die britische Presselandschaft in Zukunft reguliert werden könne. Das sei sehr schwierig, da die Pressefreiheit nicht eingeschränkt werden dürfe. „Freiheit der Presse heißt aber nicht, dass sie über dem Gesetz steht“. Auch Vorwürfen, dass die Polizei Bestechungsgelder angenommen habe, werde auf den Grund gegangen.
Cameron sagte, die Entscheidung, den früheren Chefredakteur der „News of the World“ Andy Coulson im Mai 2010 zu seinem Kommunikationschef zu machen, sei ein Fehler gewesen. Er übernehme dafür die volle Verantwortung. Der 43-jährige Coulson sagte bisher, er habe weder von den angeblichen Abhörpraktiken noch von Bestechungsgeldern an die Polizei gewusst. Er wurde am Freitag vom Scotland Yard festgenommen. Weitere Informationen zu dem Fall wollte die Polizei zunächst nicht machen.
Cameron ging am Freitag auf Distanz zum einflussreichen Medienkonzern News Corporation, dem das Boulevardblatt gehört. Die Praktiken der „News of the World“ seien „extrem verachtenswert“, die Politik habe sie „wissentlich ignoriert“. Großbritannien sei durch die aktuellen Vorwürfe in einer „Zeit der Krise und der Sorge“.
Cameron forderte das Medienimperium von Rupert Murdoch zu Konsequenzen auf. Wenn die Chefin der zuständigen Verlagstochter News International, Rebekah Brooks, ihm ihren Rücktritt angeboten hätte, würde er persönlich ihn annehmen, sagte Cameron. Brooks war zur Zeit, in der die Handys von mutmaßlich 4000 Menschen angezapft worden sein sollen, Chefin bei „News of the World“. Rupert Murdoch hatte zuletzt betont, an Brooks festzuhalten.
Oppositionsführer Ed Miliband hatte Cameron aufgefordert, sich für seinen „erschreckenden Einschätzungsfehler“ bei der Anstellung Coulsons zu entschuldigen. Cameron habe persönliche Beziehungen zu Schlüsselfiguren des Skandals, sagte der Chef der sozialdemokratischen Labour Partei. Er müsse nun Klarheit darüber schaffen, welche Diskussionen es zu dem Fall gegeben habe.
Der Abhörskandal bei „News of the World“ beschäftigt die Briten seit Jahren, hat sich in den vergangenen Tagen aber dramatisch zugespitzt. Journalisten der Zeitungen sollen nicht nur die Handys von Prominenten und Politikern angezapft haben, sondern auch von Terroropfern und Hinterbliebenen toter Soldaten.
Im Fall eines entführten und später tot aufgefundenen Mädchens sollen sogar Nachrichten auf der Mailbox ihres Handys gelöscht worden sein, um Platz für neue zu machen. Die Eltern der 13-Jährigen hatten daraufhin gedacht, ihr Kind sei noch am Leben.
Am Donnerstagabend hatte James Murdoch, der Sohn von Rupert und oberster Verantwortlicher des Verlags News International, bekanntgegeben, die „News of the World“ werde am kommenden Sonntag zum letzten Mal erscheinen. Er gestand schwere Fehler ein. Es wird erwartet, dass nun noch viele Details des Skandals and Licht kommen könnten.
Die „News of the World“ gibt es seit 168 Jahren. Medienangaben zufolge ist sie mit rund 2,8 Millionen verkauften Exemplaren pro Woche das meistverkaufte Blatt Großbritanniens. Die Zeitung erscheint im Verlag News International, dem britischen Arm des Medienimperiums von Rupert Murdoch, der News Corporation. [Britta Gürke]
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