Die europäische Medienpolitik bewegt sich zwischen „globaler Vernetzung und regionaler Verankerung“. In einem Panel auf dem 23. Medienforum NRW gebrauchte Angelica Schwall-Düren das Beispiel der angeblich EHEC-verseuchten spanischen Gurken, um die Zusammenhänge des europäischen Medienmarkts zu veranschaulichen.
Die nordrhein-westfälische Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien nutte in ihrer Begrüßungsrede bei einem Panel des 23. Medienforum.NRW die Analogie zur EHEC-Seuche, um zu verdeutlichen, dass ein echter europäischer Kommunikationsraum praktisch nicht existiert. Vielmehr ist der Markt für Medien in erster Linie national geprägt. Wer sich über die „spanischen“ Gurken informieren wollte, habe dies in Deutschland mehrheitlich mit Hilfe deutscher Medien bzw. selbst online in deutscher Sprache getan.
Schwall-Düren stellte außerdem klar, dass die Landesregierung die Digitale Agenda der EU, wie sie vor allem von der Kommissarin Neelie Kroes entwickelt wird, nachdrücklich unterstützt. Die Landesministerin betonte aber auch die Bedeutung der Subsidiarität: „Europa lebt von der Vielfalt in der Einheit“.
Medienkompetenz sehe in Apulien anders aus als in London. Kultur, Identifikation und Fortschritt fange lokal an und könne nicht zentral verordnet werden. „Wir haben nicht den Eindruck, dass das in Brüssel auch so gesehen wird“, sagte die nordrhein-westfälische Ministerin mit Hinweis auf den Beihilfe-Konflikt um die deutschen Rundfunkgebühren.
Simon Hampton, Director of European Public Policy des Suchmaschinen-Marktführers Google, erklärte in seiner Keynote, dass auch in Europa starke Player im Internetbereich wachsen müssten. Auf einem Feld, das so viel Bedarf an Experimenten hätte, müsse auch Europa seinen Beitrag leisten können.
Jede Minute würden auf Youtube Inhalte mit einem Volumen von 48 Stunden heruntergeladen. Der Konsument werde in Zukunft mehr denn je erwarten, dass er jeden Inhalt überall nachfragen könne. Inhalte zu erstellen, sei allerdings teuer, auch Google zu betreiben, koste Geld.
Die Vielfalt an Medienangeboten sei noch nie größer gewesen. Die Verbraucher fragten allerdings vor allem die starken Marken nach, die ihnen die Nutzung von Online-Angeboten besonders leicht machten.
Gerhard Zeiler, Geschäftsführer der RTL-Group, plädierte für eine Medienregulierung, die auch die international agierenden Online-Anbieter einbeziehen müsse. Wenn Google Springer kaufe oder Springer Google, so sei das kartellrechtlich in Deutschland kaum zu regulieren. Gewinne etwa RTL statt 35 Prozent Zuschauermarktanteil in der werberelevanten Zielgruppe so hohe Werte, wie sie mit den Online-Anteilen von Google zu vergleichen seien, wäre dies kaum erlaubt: „Den Aufschrei möchte ich hören“, verwies Zeiler auf den engen Rahmen von Zuschauermarktanteilsgrenzen in Deutschland.
Zeiler zeigte in einem Gespräch mit Moderator Werner Lauff auch wenig Verständnis für die Bedenken deutscher Wettbewerbshüter in Bezug auf die gemeinsam von der Mediengruppe RTL und ProSiebenSat.1 geplante Videoplattform. Während sie vom Bundeskartellamt gestoppt worden sei, wäre das gemeinsame Videoportal in jedem anderen Land genehmigt worden, kritisierte der Chef der RTL Group.
Seine Sendergruppe strebe an, in Zukunft fünfzig Prozent der Einnahmen aus „Nicht-Werbung“ zu erlösen, kündigte Zeiler an. Er prognostizierte, dass der Ausbau des Digitalangebotes HD Plus einen Paradigmenwechsel in Deutschland hin zu mehr Bezahlprogrammen bewirken könne, schränkte aber ein: „In Deutschland mahlen die Mühlen langsam“.
In der anschließenden Podiumsdiskussion waren sich die Teilnehmer darüber einig, dass Regulierung, wie sie die Digitale Agenda beinhalte, sinnvoll und nötig sei. Lucas Josten, persönlicher Referent von Kommissarin Neelie Kroes, erläuterte die Ziele der Digitalen Agenda: eine „solide Infrastruktur der Netze“, die unter anderem Breitbandanschlüsse für alle Bürger bis 2013 vorsehe, einen digitalen Binnenmarkt, die Stärkung der Medienkompetenz und den Ausbau von E-Government und E-Health. Auch eine Reduzierung der Roaming-Kosten sei geplant.
Matteo Maggiore, Controller of International Policy bei der BBC, betonte die Bedeutung von Regulierung. Als von öffentlichen Geldern abhängiger Sender könne die BBC es sich ohnehin nicht erlauben, gegen Regulierung zu sein, scherzte er.
Er lobte die EU dafür, dass sie rechtzeitig erkannt habe, wie wichtig es sei, im digitalen Bereich das Entstehen von Kapazitätsengpässen vorauszusehen. Auch Karl-Heinz Laudan, Vice President Spectrum Policy bei der Telekom, begrüßte die Digitale Agenda. Die Politik müsse Anreize für Investitionen setzen. „Der Nutzer entscheidet im Endeffekt, wo wir schwerpunktmäßig investieren“, sagte Laudan. „Wir wissen nicht, wie sich der Kunde in Zukunft entscheidet, welche Übertragungswege er nutzen will“.
Tobias Schmid, der bei RTL und dem Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) den Bereich Medienpolitik leitet, glaubt hingegen, dass die EU ein zu großes Gewicht auf Übertragungswege und andere technische Probleme lege. Oft werde Irrelevantes reguliert, inhaltlichen Fragen kämen zu kurz.
Schmid bezeichnete das als Placebo. Dies sei das Ergebnis der „exzellenten Lobbyarbeit von Vodafone und Telekom in Brüssel“. Rundfunk- und Online-Regulierung fielen auseinander. Es sei nötig, auf die Frage der zunehmenden Konvergenz – „ein echtes Problem“ – eine Antwort zu finden.
Der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), Jürgen Brautmeier, beklagte, dass die europäische Regulierung „ihrer Zeit hinterherlaufe“. Inhaltliches werde reguliert, technisch aber entwickle sich vieles rasant weiter. Er beklagte, dass in Deutschland beispielsweise nicht das BBC-Programm empfangbar sei. „Hier würde ich mir mehr Regulierung wünschen“, sagte Brautmeier. [js]
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