Warum präsentieren Menschen Intimes im Internet? Welche Auswirkungen hat ein zunehmender Verlust des Privaten für die Gesellschaft? Wie kann man sich schützen? Diese Fragen untersuchen zwei bekannte Medienanwälte in einem Buch – und legen sich dabei mit vielen an.
Skrupellose Journalisten, eitle Juristen, ein ohnmächtiger Presserat und gutgläubige Internetnutzer, die oft nicht wissen, was sie tun: Die renommierten Medienanwälte Christian Schertz und Dominik Höch zeichnen in ihrem Buch „Privat war gestern“ ein düsteres Bild von der Medienwelt. Dort kennen sich die Juristen gut aus. Schertz vertritt Prominente wie Thomas Gottschalk und Günther Jauch, wenn zu viel über deren Privatleben berichtet wird. Nun kommen sie zu dem nicht ganz überraschenden Schluss: „Mit dem Schutz unserer Privatsphäre geht es bergab“. Eine offene Diskussion darüber fehle.
Anhand vieler Beispiele wollen die Juristen nachweisen, dass zu viel Privates in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Bei der im Fernsehen gezeigten Festnahme des früheren Postchefs Klaus Zumwinkel wegen Steuerhinterziehung sei dessen eigenes Haus zum „medialen Schafott“ geworden. Als „Schlammschlacht des Jahres“ bezeichnen die Autoren den Prozess gegen Wettermoderator Jörg Kachelmann.
„Wenn jeder über den anderen alles weiß, gefährdet das auch die Demokratie“, meinen die Anwälte. Sie warnen insbesondere vor der Preisgabe von Daten im Internet und bei sozialen Netzwerken wie Facebook, zumal sich vieles im ewigen Gedächtnis des Netzes nicht mehr löschen lasse. „Viele Familien betreiben private Homepages, auf denen von Opa bis Enkel alle mit Fotos, Hobbys und Geburtsdaten vertreten sind. Recherchierenden Journalisten liefern sie auf die Art ganze Persönlichkeitsprofile frei Haus“.
Meist sei den Menschen die Tragweite ihrer Einträge nicht bewusst, und Blogger hätten oft wenig Verständnis dafür, wenn andere nicht alles über sich im Netz lesen möchten. „Nach dem Motto: Die Zeiten sind anders. Stellt Euch mal alle nicht so an“. Zwar reichten die Gesetze im Prinzip aus, meinen die Anwälte. Dennoch müsse sich jeder selbst schützen, da andere Instanzen oft nicht mehr helfen könnten.
Für fatal halten die Juristen Gerichtsurteile zugunsten der Lehrer-Bewertungsplattform spickmich.de. „Letztlich bekommt die Internet-Community mit dieser Entscheidung einen Freibrief an die Hand, jeden in seinem beruflichen Tun namentlich zu bewerten und im schlimmsten Fall auch zu diffamieren“. Selbst Richter der höchsten Gerichte seien sich der Folgen ihrer Urteile nicht vollständig bewusst. „Wir haben das Gefühl, dass in Karlsruhe noch gar nicht angekommen ist, was im Internet los ist“, sagt Schertz.
Insgesamt kommt die Justiz schlecht weg; manche Staatsanwälte hätten ein „eklatantes Fehlverständnis“ ihrer Rolle, schreiben die Autoren, wie etwa bei der Festnahme der No Angels-Sängerin Nadja Benaissa wegen des Verdachts der Körperverletzung. Dabei habe die Staatsanwaltschaft eine „mittelalterliche mediale Hexenjagd“ ausgelöst und sogar Interviews zu Benaissas Geschlechtsleben gegeben.
Mitarbeiter von Behörden steckten den Medien Geheimnisse – und diese berichteten ohne Rücksicht auf Verluste, meinen die Anwälte. „Medienhype statt Beschuldigtenrechte, Einschaltquote statt angebrachter Zurückhaltung – was halbwegs sendbar ist, wird gesendet, auch wenn es den Betroffenen demütigt oder seine Rechte verletzt. Das ist der aktuelle Zustand der Medienrepublik Deutschland“.
Nicht einmal die Selbstkontrollinstanz der Presse gebiete solchem Treiben Einhalt, da diese die Veröffentlichung von Opferbildern des Amoklaufs von Winnenden für zulässig gehalten habe. „Offenbar ist dem Deutschen Presserat das Recht am eigenen Bild nicht bekannt“, meinen die Anwälte. „Dieser Fall zeigt, welch stumpfes Schwert der Presserat bei der Beurteilung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist“. Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns sieht das naturgemäß anders und verweist auf „Hunderte von Entscheidungen“ des Gremiums zum Schutz dieser Rechte. „Das Plenum des Deutschen Presserats ist mit deutlicher Mehrheit zu dem Ergebnis gekommen, die Persönlichkeitsrechte der Opfer nicht zu lockern“.
Neben kritischen Anmerkungen zur „Bild“-Zeitung und „Bunten“ beanstanden die Juristen auch TV-Boulevardmagazine. Dabei kommen sie zum Schluss, dass ARD und ZDF noch fragwürdigere Sendungen machten als RTL oder ProSieben. „Es geht noch sensationslüsterner als bei den Privaten“, schreiben die Autoren und erschaudern über „Brisant“ (ARD) und „Hallo Deutschland“ (ZDF). „Ein Gruselkabinett“, urteilen sie. „Gezeigt wird nahezu werktäglich das abscheulichste Verbrechen, der spektakulärste Unfall und der meistgesuchte mutmaßliche Mörder – und dann halten die Videoreporter die Kamera drauf, auf Tragen, mit denen Verunfallte zum Rettungswagen geschoben werden, oder auf Opfer von Straftaten, die vor Gericht aussagen müssen“.
Dieser Einschätzung tritt der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen vehement entgegen. Die Themen seien nah an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Außerdem werde auch bei „Hallo Deutschland“ nach sauberen journalistischen Regeln gearbeitet, betont er. „Voyeurismus bleibt draußen, wir achten Persönlichkeitsrechte von Opfern wie Tätern. Sonst hätte der Anwalt Schertz längst beruflich mehr mit dem ZDF zu tun gehabt als der Autor Schertz“. [Rolf Westermann]
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