Mit der anhaltenden Kritik an der Ukraine-Berichterstattung möchte sich insbesondere die „Tagesschau“ künftig stärker auseinandersetzen. In einem Blogeintrag erklärte Chefredakteur Kai Gniffke nun erstmals die eigene Arbeit und übte dabei auch Selbstkritik. Man hätte es sich möglicherweise zu leicht gemacht.
Seit Wochen will die Diskussion um die Ukraine-Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht abreißen. Dabei war es im Juni sogar zu heftiger Kritik seitens des Programmbeirats der ARD an den Berichten im Ersten gekommen. Nun hat sich „Tagesschau“-Chefredakteur Kai Gniffke erstmals persönlich in einem Blogeintrag zur Kritik der Zuschauer geäußert und dabei auch Selbstkritik geübt.
Demnach habe man sich am Montag intern mit rund 30 Redakteuren zusammengesetzt um über das Feedback von Zuschauern, Nutzern und Aufsichtsgremien zu diskutieren. „Die Kritik an unserer Ukraine-Berichterstattung hat ein Echo von bislang ungekanntem Ausmaß hervorgerufen. Wir wollen es uns nicht zu einfach machen und alles als gesteuerte Kampagnen und Spielwiese für Verschwörungstheoretiker abtun (obwohl das zum Teil der Fall ist)“, so Gniffke in dem Blogeintrag.
Die scheinbare Wiederkehr von Kaltem Krieg und Ost-West-Konflikt habe die Gemüter viel stärker bewegt als andere Konflikte, weshalb man die Kritik sehr ernst nehmen wolle. Dem Vorwurf einer gezielten Desinformation oder einer beabsichtigten Manipulation weist der Chefredakteur jedoch klar von sich: „Wir haben stets nach bestem Wissen und Gewissen sowie sorgfältiger Recherche berichtet.“In Zukunft mehr hinterfragen
Dennoch wolle man es sich mit der Kritik nicht zu einfach machen.“Doch bevor uns unsere Kritiker nun für arrogante Dumpfbacken halten -es gab heute auch sehr viel Selbstkritisches“, schreibt Gniffke. Sohätte man mit dem Wissen von heute in den vergangenen Monaten manchenAkzent anders gesetzt und einige Formulierungen anders gewählt.Möglicherweise, so der Chefredakteur, sei man bei der „Tagesschau“ zuleicht dem Nachrichtenmainstream gefolgt. „Vielleicht hätten wir rechteGruppierungen in der Ukraine früher thematisieren sollen“, gibt sich KaiGniffke selbstkritisch. „Wir hätten uns bei der Formulierung’OSZE-Beobachter‘ eher eine andere Formulierung wählen können.Vielleicht haben wir die russischen Interessen zu wenig für dendeutschen Zuschauer ‚übersetzt‘. Wir hätten evtl. die NATO-Position nochkritischer hinterfragen können“, so der Chefredakteur weiter.
Ausdrücklichin Schutz nimmt der Chef jedoch die Arbeit der Korrespondenten in derUkraine, die mit hohem Einsatz und unter physisch und psychisch äußerststrapaziösen Bedingungen hervorragende Arbeit geleistet hätten. „Dabeiist klar, dass die Recherche auf Seiten der Separatisten zeitweise nichtmöglich war und die Informationen der ukrainischen Seiteinteressengesteuert waren“, gibt er jedoch zu.
Für dieZukunft möchte Gniffke auch in der täglichen Recherchearbeit mehrSelbstkritik zulassen und klarer offenlegen, wenn man etwas nicht wisse.“Wir werden weiterhin die Schwerpunkte unserer Berichte nachjournalistischen Kriterien festlegen und nicht nach sturemProporzdenken. Wir werden immer die Genauigkeit und Trennschärfe unserTerminologie prüfen. Vor allem aber haben wir uns heute einesvorgenommen: Wir werden auch künftig Kritik nicht einfach an unsabtropfen lassen, sondern uns immer wieder prüfen, ob wir richtigliegen“, so der Chefredakteur von Deutschlands wichtigsterNachrichtensendung.Programmbeirat hatte schon im Juni heftig kritisiert
Laut einem Sitzungsprotokoll hatte der Programmbeirat die ARD schon im Juni getadelt. So hättendie ausgestrahltenInhalte zur Ukraine-Krise teilweise den „Eindruck der Voreingenommenheit erweckt“und seien „tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen“ gerichtet gewesen. Zudem seien wichtige Aspekte des Konfliktes „nicht oder nurunzureichend beleuchtet“ worden.
Im Prinzip sind dies alles Vorwürfe, auf die Kai Gniffke nun zumindest indirekt öffentlich eingegangen ist. In den vergangenen Wochen hatte es trotz anhaltender Kritik an der Ukraine-Berichterstattung von ARD und ZDFwenig selbstkritische Stimmen aus den Reihen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gegeben. [ps]
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