Am Mittwoch diskutieren Vertreter aus Politik und Wirtschaft auf dem 9. Nationalen IT-Gipfel in Berlin über Wege, mit denen der digitale Wandel vorangetrieben werden kann. Ein wesentlicher Punkt auf der Tagesordnung ist dabei der Breitbandausbau.
Die Digitalisierung erfasst inzwischen alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Auch traditionelle Branchen wie die Autoindustrie und der Maschinenbau sind nicht vor großen Umwälzungen gefeit. Für Deutschland gilt es, angesichts vieler neuartiger Geschäftsmodelle den Anschluss nicht zu verlieren. Auf dem 9. Nationalen IT-Gipfel will die Bundesregierung von Mittwoch an gemeinsam mit Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft Chancen und Risiken des Wandels diskutieren. Kritikern geht der Diskussionsrahmen jedoch nicht weit genug. Die Grünen attestieren der Regierungskoalition „rein selbstbeweihräuchernde Fortschrittssymbolik“ und laden einen Tag zuvor zu einem eigenen Gipfel ein, der im Zeichen von „Offenheit und Dialog“ stehen soll.
Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, haben Politik und Industrie inzwischen erkannt. Denn so gut, wie oft gelobt, steht Deutschland in Sachen Digitalisierung gar nicht da: Die deutsche Digitalwirtschaft sei derzeit nur Mittelmaß, ergab kürzlich eine Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hatte. Demnach sackte Deutschland in einem Zehn-Länder-Vergleich der führenden digitalen Wirtschaften von Platz fünf auf den sechsten Platz ab. Auf der Überholspur befindet sich derweil China.
Zu den notwendigen Rahmenbedingungen für den digitalen Ausbau zählen vor allem schnelle Internetleitungen. Auf dem Weg zum selbst gesteckten Ziel, bis 2018 Leitungen von 50 Mbit aufzubauen, sei Deutschland auf gutem Weg, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erst kürzlich wieder. Einem aktuellen Report zufolge steht Deutschland im internationalen Vergleich allerdings gar nicht so gut da. Der Internet-Dienstleister Akamai maß eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 10,7 Mbit (Platz 24). Damit liegt Deutschland weit abgeschlagen hinter Südkorea (23,1), Hongkong (17) Japan (16,4) und Schweden (16,1 Mbit pro Sekunde).
Durch die jüngsten Frequenzversteigerungen aus der Digitalen Dividende verfüge Deutschland inzwischen jedoch auch über die nötigen Spektren für die nächste Generation des Mobilfunks (5G), betonte Merkel. Mit zukünftigen Lösungen etwa in der Telemedizin werde der Bedarf an Bandbreite für hochpräzise Datenübermittlungen jedoch weiter enorm steigen. Neben solchen Spezialdiensten könne Netzneutralität, bei der alle Daten gleichberechtigt durch das Netz geleitet werden, künftig „nur ernsthaft ins Auge gefasst werden“, wenn genügend Bandbreite vorhanden sei. Seit das EU-Parlament neue Regeln zur Netzneutralität verabschiedete, befürchten Kritiker eine nachhaltige Aushöhlung des Prinzips.
Auf dem 9. Nationalen IT-Gipfel will die Bundesregierung in Berlin gemeinsam mit Vertretern aus ITK-Wirtschaft und Gesellschaft in diesem Jahr mehr Raum für den direkten Dialog schaffen. Die Digitale Agenda, mit der die Regierungskoalition die nötigen Rahmenbedingungen schaffen will, soll dabei Kompass und Fundament der Diskussionen sein. Industrie 4.0 ist nur eines von vielen Stichworten, mit denen Bundesregierung und Wirtschaft den tiefgreifenden Wandel und die großen Chancen bezeichnen. Wie die Voraussetzungen aussehen müssen für das, was sich in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch digitalisierte Prozesse und neue Geschäftsfelder verändern wird, soll Thema des IT-Gipfels sein.
Im Mittelpunkt stehen Ergebnisse, die zuvor in mehreren Plattformen von Vertretern aus Industrie, Gewerkschaften und Forschung zu zentralen Themen erarbeitet wurden. Von Mittwoch an wird es auf dem Gipfel um digitale Infrastrukturen, Vernetzung, digitale Arbeitswelt, Industrie 4.0, Big Data und neue Verwaltungsprozesse gehen. Auch Sicherheitsfragen, die Auswirkungen auf Bildung und Wissenschaft und die europäische Dimension der Digitalisierung sollen diskutiert werden.
Digitale Technologien seien heute der Schrittmacher für eine ganze Reihe von Innovationen, sagte Merkel erst kürzlich auf einem Innovationskongress der Bundestagsfraktion der Union. Vieles, was wir heute erleben, wie selbstfahrende Autos etwa, hätte noch vor wenigen Jahren nach reiner Fantasie geklungen. Heute seien sie Realität. Es gelte, sich diese Technologien nutzbar zu machen, bevor man von ihnen beherrscht werde.
Neue disruptive Lösungen könnten schon bald auch traditionsreiche Branchen bedrohen. Vor allem im Maschinen- und Automobilbau ändern sich die Geschäftsprozesse durch die Digitalisierung radikal. Und ob der Sprung in die „Wirtschaft 4.0“ gelingt, dürfte nicht von der Größe der Unternehmen abhängen. Auch die Automobilindustrie habe einmal die Pferdekutschen abgelöst, sagte Merkel. Und es sei nicht bekannt, welche führenden Pferdekutscher von damals nach der Erfindung des Automobils den Sprung in die neue Industrie geschafft hätten. [Renate Grimming/kw]
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