Ist das Kino wirklich zurück? – 23. Filmkunstmesse beginnt

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Lily Gladstone und Leonardo DiCaprio in "Killers of the Flower Moon"
Foto: Apple TV+

Die Leipziger Filmkunstmesse versammelt erneut die deutsche Kinobranche, um aktuelle Herausforderungen zu besprechen und einen Blick auf die Filme der Wintersaison zu werfen. Mit dabei sind Hochkaräter wie der neue Martin Scorsese.

Die Filmkunstmesse hat Großes versprochen. Unter dem Slogan „Das Kino ist zurück!“ hatte die jährlich in Leipzig stattfindende Messe ihr Programm verkündet. Reproduziert hat man damit eine Floskel, die in den vergangenen Monaten immer wieder an verschiedenen Stellen bemüht wurde, die aber einer Differenzierung bedarf. Zunächst: Es war nie gänzlich weg. Es hatte während der Pandemie hin und wieder als Ort geschlossen, gewiss. Inzwischen sind Kinobesuche wieder ohne Einschränkungen möglich. Doch der Einschnitt der Schließungen, der beschleunigte Rückzug in das Private und das Ausweichen auf Konkurrenzangebote machen den Häusern und der Filmkultur weiterhin das Leben schwer, wenngleich sich einige Hoffnungsschimmer abzeichnen mögen.

Filmkunstmesse befasst sich mit „Barbenheimer“ und anderen Perspektiven

Ein Sensationserfolg, wie ihn das Doppel aus „Barbie“ und „Oppenheimer“ im Sommer hingelegt hat, wird nun gern als positives Signal gewertet, das er in gewisser Hinsicht auch darstellt, aber wie repräsentativ ist er wirklich? Ob der singuläre Erfolg eines XXL-Marken-Dampfhammers wie „Barbie“ dafür sorgen wird, dass Menschen fortan wieder regelmäßig ins (Programm-)Kino gehen werden, scheint jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt eher fraglich. Kino war nie oder nur für kurze Zeit weg, aber es hat ein Aufmerksamkeits- und Wertschätzungsproblem. Es taugt noch zum Massenphänomen, aber hat an Prestige eingebüßt.

Zu vielfältig sind die erwähnten Konkurrenzangebote, zu gering scheint die Bereitschaft vieler inmitten all der gegenwärtigen Krisen und Herausforderungen zu sein, sich dem Neuen, Unbekannten abseits des Populären auszusetzen, das immer mit einer Hürde, einem Risiko verbunden ist. Menschen sind zugleich leichter und schwieriger denn je zu erreichen.

Margot Robbie und Ryan Gosling in "Barbie"
Margot Robbie und Ryan Gosling in „Barbie“ Foto: 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Ist Kino verzichtbar geworden?

Die Leipziger Filmkunstmesse zitierte Christian Bräuer, den Vorsitzenden der AG Kino-Gilde: „Während sich die Arthousekinolandschaft nach der Pandemie weiter auf einem vielversprechenden Erholungspfad im herausfordernden Spannungsfeld aus rasanten Veränderungen im Markt, in der Gesellschaft und im Publikumsverhalten befinden, ist ihre Bedeutung als kultureller Anker im sozialen Gefüge unserer Städte und Gemeinden und für die Sichtbarkeit unabhängiger Filmkunst auch im digitalen Zeitalter unverzichtbar.“

Genau dort liegt die Kernfrage versteckt: Ist es heute für viele Menschen wirklich so unverzichtbar, wie man es gern hätte? Kino erreicht weiterhin sehr viele Menschen und es verzeichnet hin und wieder große Kassenerfolge. Und doch ist ein erheblicher Teil der Kinolandschaft Nische geworden und vielleicht immer Nische gewesen. Von finanziellen Fragen ganz abgesehen. Unbekannteres Kino, das sich als Spielwiese und Experiment, als Ort der Konfrontation und des Streits begreift, hat es schwer, wahrgenommen zu werden. Aus vielerlei Gründen. Auch das Sprechen darüber wird sich künftig stärker reflektieren müssen. Und, dass es an sich erst einmal wenig bringt, eine schleierhafte Rückkehr oder eine schlichte Euphorie über das Kino – DAS Kino, was soll das überhaupt sein? – zu beschwören. Stattdessen gilt es, Strategien zu entwickeln, wie Kino abseits des rein Kommerziellen, Altbewährten und Populären als Nische erhalten werden kann.

Panels zur Zukunft der Kinos

Die Filmkunstmesse wird auch in seiner 23. Ausgabe ein geeigneter Ort für solche Diskussionen und Auseinandersetzungen sein. Vom 18. bis zum 22. September versammelt das Event wieder Verleiher, Kinobetreiber, PR-Beauftragte, Journalisten, Filmschaffende, aber auch öffentliches Publikum in Leipzig. Über 1000 Branchenvertreter werden von der Messe erwartet. Panels, Diskussionen, Seminare, Empfänge, Stammtische und vor allem über 80 neue Filme für die Wintermonate stehen dabei auf dem Programm.

Dem Phänomen „Barbenheimer“ und möglichen Folgen widmet sich etwa ein Panel am Mittwoch, bei dem außerdem aktuelle Kino-Zahlen präsentiert werden. Andere Veranstaltungen widmen sich unter anderem dem Kulturpass, Marketing, Kooperationen zwischen Kinos und Verleihern, der Filmförderung und Programmplanung. Alle Panels kann man online verfolgen.

Diese Filme laufen auf der Filmkunstmesse

Das Filmprogramm der Messe, eine große Vorschau auf das kommende Angebot für Kinobetreiber und Publikum, findet indes auch 2023 zwischen öffentlichen und internen Branchen-Vorführungen statt. Das öffentliche Programm wird dabei von Barbara Alberts Romanverfilmung „Die Mittagsfrau“ eröffnet. In dem Historiendrama spielt Mala Emde eine junge Frau, die in den Wirren der NS-Diktatur in die Rolle der Hausfrau und Mutter gezwungen wird und sich von ihren Lebensträumen verabschieden muss. Zweiter Eröffnungsfilm ist die Komödie „Reif für die Insel“ von Marc Fitoussi.

Daneben wird in den kommenden Tagen etwa der neue Film von Luc Besson („Léon – Der Profi“) öffentlich gezeigt, der jüngst in Venedig Premiere feierte: „Dogman“ erzählt von den Folgen familiärer Gewalt und einem hundevernarrten Gangster, der zum Märtyrer erhoben wird.

Emma Stone und Mark Ruffalo in "Poor Things"
„Poor Things“ mit Emma Stone gewann in Venedig den Goldenen Löwen. Foto: 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.“Foto: 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Hochkarätige Titel aus Cannes und Venedig

Die ganz großen Würfe sind jedoch (wie in den Vorjahren) der Branche vorenthalten! Im ungleich hochkarätigeren Branchenprogramm findet sich mit dem Western-Krimi „Killers of the Flower Moon“ etwa der neue Film von Martin Scorsese, der im Oktober erst im Kino und danach bei Apple TV+ laufen wird. Mit dem Gerichtsdrama „Anatomie eines Falls“ und der Groteske „Poor Things“ zeigt die Messe die Gewinnerfilme aus Cannes und Venedig. Wim Wenders ist darüber hinaus gleich doppelt im Programm vertreten mit „Perfect Days“ und seinem 3D-Film „Anselm“. Beide Filme soll der Kultregisseur in Leipzig persönlich vorstellen.

Daneben wird unter anderem ein Blick auf das vielgelobte Holocaust-Drama „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer, den neuen Film von Ken Loach („The Old Oak“) oder auch den Mysterythriller „Die Theorie von allem“ geworfen, der in Venedig als einziger deutschsprachiger Wettbewerbsbeitrag ins Rennen ging. An großen, vielversprechenden Titeln mangelt es den Kino über den Winter jedenfalls nicht. Nun gilt es, Wege zu finden, sie an ein Publikum zu bringen. Und: sich auf das kommende Jahr vorzubereiten. Mit einer bevorstehenden Streik-bedingten Flaute an Hollywood-Namen werden womöglich ganz neue Schwerpunkte gesetzt werden können, gesetzt werden müssen.

Einen Überblick über das gesamte Programm der 23. Leipziger Filmkunstmesse findet man auf der Website der Veranstaltung.

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