Obwohl die neue Serie „House of Cards“ in den USA nicht im Fernsehen zu sehen ist, könnte sie doch einen Meilenstein der TV-Geschichte markieren. Das neue Format, das in den Staaten nur beim Video-on-Demand-Anbieter Netflix zu sehen ist, bietet Zuschauer und Produzenten neue Freiheiten.
„House of Cards“ wurde im Vorfeld viel diskutiert. Die hochkarätig besetzte Polit-Serie (Kevin Spacey, David Fincher) wurde vom Video-on-Demand-Anbieter Netflix in Auftrag gegeben und ist in den USA auch nur dort zu sehen. Gleich zwei Staffeln mit je 13 Folgen wurden bestellt – und rund 100 Millionen Dollar (73,75 Millionen Euro) auf den Tisch gelegt. Am 1. Februar feierte „House of Cards“ für Amerikaner mit einem Netflix-Abo (8 Dollar im Monat) Weltpremiere.
Neben der Besonderheit, dass die Serie nur online bei einem Abruf-Service zu sehen ist, gibt es ein weiteres Novum. Netflix stellte zur Premiere nicht nur die erste Folge der Serie online, sondern die komplette erste Staffel auf einmal. Nicht nur damit wagt der Anbieter einen Schritt, der für die Zukunft wegweisend sein könnte.
Dass die neue Serie exklusiv beim Web-basierten Abo-Dienst verfügbar ist, kann dabei allenfalls als interessante Randnotiz verbucht werden. Mit 100 Millionen Dollar Produktionskosten ist sie zwar die bisher teuerste Sendung, die ausschließlich für das Internet produziert wurde, die erste ist sie aber auf keinen Fall. Zudem wird in einigen Jahren wohl auch niemand mehr danach Fragen, ob eine Serie oder ein Film für Fernsehen oder Internet produziert wurde. Beide Empfangswege werden für den Nutzer in Zukunft wohl weitgehend stufenlos verschmelzen.
Trotzdem bringt das Projekt „House of Cards“ eine neue Unabhängigkeit mit sich. Und die bekommen alle Beteiligten zu spüren. Für die Zuschauer ergibt sich durch die von Netflix gewählte Veröffentlichung der kompletten Staffel die Freiheit, die Sendung den eigenen Wünschen entsprechend zu konsumieren. Der festgefahrene Takt einer wöchentlich ausgestrahlten Serie, wie es beispielsweise bei TV-Sendern wie HBO gängige Praxis ist, entfällt. Auch für die Produzenten und die Kreativen der Serie gestaltet sich die Angelegenheit in einem neuen Licht.
Zu allererst entfällt aufgrund der exklusiven Ausstrahlung auf Netflix der Quotendruck für die Sendung – sie ist nicht auf Zuschauerzahlen für die Vermarktung von Werbung angewiesen, weil es keine Werbung gibt. Netflix finanziert sich über den Verkauf von Abos. Das hat eine ganze Reihe von Folgen, die dem Format letztendlich zugute kommen können. So kann auf zwanghafte Erzähl-Elemente wie Cliffhanger, die bei Serienproduktionen für TV-Serien sonst unabdingbar wären, verzichtet werden. Das ermöglicht eine neue Freiheit in der Art der Erzählung, weswegen „House of Cards“ in ersten Reaktionen nach der US-Veröffentlichung nicht als typische Serie, sondern wohlwollend als „13-Stunden-Film“ bezeichnet wurde.
Hier könnte sich somit durch die veränderte Ausrichtung der Produktion ein neues Qualitätslevel für Inhalte herausbilden. Während aktuelle Hollywood-Filme die ursprüngliche Idee der jeweiligen Story in meist nur verstümmelter Form in ein 90-Minuten-Korsett pressen müssen, ist der Vorteil von Serien die Möglichkeit des ausführlicheren Storytellings. Bei Produktionen für TV-Sender – im Regelfall die Auftraggeber für Serien – unterliegen die einzelnen Episoden trotz größerer Freiheiten auch erzähltechnischer Rahmenbedingungen. Schließlich muss der Zuschauer ja dazu bewegt werden, auch nach der Werbung wieder dabei zu sein und auch in der nächsten Woche wieder einzuschalten.
Wenn die ersten Episoden dann nicht gut laufen, wird eine Serie schneller wieder abgesetzt als die Produzenten „Quote“ sagen können. Netflix geht aufgrund seiner Unabhängigkeit von der Werbung einen anderen Weg. Anstatt eine Pilotfolge oder -Staffel in Auftrag zu geben, um das neue Produkt am Markt zu testen, ordert man hier lieber zwei umfangreiche Staffeln für einen dreistelligen Millionenbetrag – und lässt den kreativen Köpfen in der Produktion dabei freien lauf.
Ob es nur der Geldbetrag, oder doch der Mut zum unkonventionellen ist, der „House of Cards“ schon vorab sagenumwoben erscheinen ließ, lässt sich nicht so einfach sagen. Jedenfalls hat die Produktion dank Netflix eine lange nicht greifbare Freiheit gewonnen, die sich zumindest potentiell in Qualität ummünzen lässt. Für Beau Willimon, Produzent der Serie, ändern sich damit bisher schier nicht kippbare Regeln. Wie er im Interview mit dem Online-Magazin „ArsTechnica“ verriet, könne so das ganze Modell der Formate für eine Serie aufgebrochen werden. Einzelne Episoden könnten dann 20 Minuten lang sein, während die nächsten sich wieder über eine Spielzeit von 90 Minuten erstrecken würden.
Netflix könne den Zuschauern solche elementaren Veränderungen schmackhaft machen – andere hingegen nicht. So könne die Freiheit und somit auch die Qualität der Erzählweise bei Produktionen weiter gesteigert werden. Ob „House of Cards“ nun eine großartige oder doch nur gewöhnliche Serie ist, sei dahingestellt. Und ob und wie schnell derartige Entwicklungen auch nach Deutschland übergreifen, wo die Serie derzeit wöchentlich auf dem Pay-TV-Sender Sky Atlantic HD zu sehen ist – und so die neue Freiheit der Zuschauer jenseits des Atlantiks lässt – ist derzeit noch fraglich.
Nachdem VoD-Vorreiter Netflix das Konsumverhalten der amerikanischen Zuschauer von Sendezeiten entkoppelt hat, wird mit „House of Cards“ nun jedoch endlich der entsprechende Content dazu geliefert. Neben der zweiten Staffel stehen in nächster Zeit auch schon die nächsten, exklusiven Serien für Netflix auf dem Programm. „Unser Ziel ist es zu HBO zu werden, bevor HBO zu uns werden kann“, formuliert Ted Sarandos, Chief Content Officer den Weg seines Unternehmens im Bezug auf den TV-Primus. Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich Netflix damit fährt. Und ob auch andere Anbieter diesen Weg gehen werden. [Hans-Jakob Völkel]
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