Demütigung als Quotengarant? Provokation als Erfolgsprinzip? TV-Macher und Experten stellten beim Medienforum NRW die erfolgreichsten deutschen Fernsehformate auf den Prüfstand – ohne sich einig zu werden.
Provokation ist unterhaltsam. Das weiß auch der Medienwissenschaftler und Kulturjournalist Alexander Kissler. Deshalb lautet seine These: Die Sendung „Germany’s next Topmodel“ bereitet in der Verwertungskette solcher erfolgreichen TV-Formate schon mal die künftigen Kandidatinnen für das „Dschungelcamp“ vor. „Irgendwann gibt es wahrscheinlich ein Format: ‚Deutschland sucht das Dschungel-Model'“, sagte Kissler auf dem Medienforum NRW in Köln.
Die Grundprinzipien, nach denen Unterhaltung hier funktioniert, hält Kissler jedenfalls für ähnlich: Menschen würden „den Augen zum Fraß vorgeworfen“, aufgefordert, sich zu unterwerfen und „Exerzitien der Härte“ durchzustehen. Als Gegenleistung gebe es „den einzigen Jeton, den das Unterhaltungsfernsehen zu vergeben hat: Aufmerksamkeit, mediale Präsenz“.
Produzent Jens Bujar („TV Total“, „DSDS“) und Christoph Stoll von der Hauptredaktion Show des ZDF wehrten sich nach Kräften. „Nur mit Demütigung machen Sie keine 30 Prozent plus Marktanteil bei jüngeren Leuten“, sagte Bujar. Quote durch Provokation funktioniere nicht. „Aber wie beim Fußball freuen wir uns natürlich eher über ein 5:4, das mit drei Roten Karten ausgeht“.
Stoll meinte, körperliche und seelische Unversehrtheit müsse gewährleistet sein, gestand aber, dass Unterhaltung auf Emotionen und Dramatik angewiesen sei. Der Fall von Samuel Koch, der sich bei „Wetten, dass..?“ schwer verletzt hatte, wirke aber immer noch fort.
Für Ulrich Schneider vom paritätischen Wohlfahrtsverband geht es um das Welt- und Menschenbild, das durch Castingshows, aber auch in Drehbuchserien, die wie echt aussehen sollen (Scripted-Reality-Formate), vermittelt wird. Junge Leute lebten in der Illusion, im Fernsehen ganz groß rauskommen zu können. Und das gelte auch für Talkshows. Als Beispiel nannte er einen Hartz-IV-Empfänger, der von Sendung zu Sendung gereicht worden sei: „Das zu verkaufen als ernsthafte Politik, als Prototyp eines Arbeitslosen, das fand ich viel schlimmer als vieles, was sich in Shows abspielt“.
Als Grundfrage schälte sich in der Diskussion heraus, ob die TV-Sender mit ihren Formaten lediglich auf das Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer eingehen und deren Vorlieben abbilden, oder ob sie dazu beitragen, das entsprechende Welt- und Menschenbild erst zu schaffen.
Bujar betonte, dass Kinder an der Show „Deutschland sucht den Superstar“ nicht teilnehmen dürfen. Die Kandidaten wüssten genau, was sie erwartet, wenn sie vor Dieter Bohlen treten. „Sie glauben gar nicht, wie viele Leute wir aussortieren, die nicht wissen, worauf sie sich da einlassen.“ Außerdem habe jeder die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass sein Auftritt nicht ausgestrahlt wird, und das werde von vielen genutzt.
Dass Castingshows und Pseudo-Reality-Serien Zuschauer fänden, dem könne man kaum entgegenwirken, meinte Schneider. „Da hilft es nichts, als Wohlfahrtsverband die Moralkeule zu schwingen“. Besser sei es, dafür zu sorgen, dass die Zuschauer auch andere Inhalte kennenlernten, an denen sie Freude hätten.
Schneider und der Moderator der Podiumsdiskussion, Journalist Hans Hoff, machten zwei Vorschläge in Richtung Zuschauereinfluss: „Mein großer Traum ist, dass man bei den großen Talkshows alle Viertelstunde jemanden rauswählen darf“, sagte Schneider. Und Hoff rief dazu auf, die Programmvorschau besser zu studieren: „Wer das deutsche Fersehen doof findet, der ist einfach nur zu faul zu suchen“. [Jürgen Hein]
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