Thomas Middelhoff ist früh dann. Der stets schick gekleidete Manager kommt am Dienstag 20 Minuten vor seinem Auftritt ins Oberlandesgericht München. Draußen scheint die Sonne, drinnen drückt die Luft.
Doch der prozesserfahrene frühere Bertelsmann-Chef ist entspannt und frohgemut, muss er doch nur als Zeuge aussagen. Diesmal geht es nicht um die Pleite des Arcandor-Konzerns, dessen Boss Middelhoff auch einmal gewesen ist. Jüngst war Middelhoff in einem Verfahren zu diesem Komplex zu Schadenersatz von 2 575 Euro verurteilt worden. Diesmal geht es um Milliarden, es geht um den spektakulären Zusammenbruch des Medienimperiums von Leo Kirch 2002.
Bereits bei den ersten Angaben verheddert sich Middelhoff und gibt an, er sei 53, dann 54 – und muss sich angesichts seines Geburtsjahres 1953 nochmals korrigieren: „Ich bin 58 Jahre alt“, sagt Middelhoff vor der sichtlich erheiterten Richterbank. Vor allem interessieren sich das Gericht und der Vorsitzende Richter Guido Kotschy aber für den Januar 2002. Es geht um die Vorgänge vor dem Untergang des weitverzweigten Firmengeflechts Kirchs, zu dem auch die Sender Sat 1 und Anteile am Springer-Konzern gehörten.
Kirch hat das krachende Ende seines Unternehmens nie verwunden, seit Jahren kämpft er quer durch alle Instanzen erbittert um milliardenschweren Schadenersatz von der Deutschen Bank. Der einst mächtige Medienmogul macht das Geldhaus und dessen damaligen Chef Rolf Breuer für den Untergang seiner Firma verantwortlich.
Die Bank habe ihn in die Enge treiben wollen, um am anschließenden Umbau oder der Zerschlagung des Konzerns zu verdienen. Möglicherweise soll sogar bei einer Runde von Medienmanagern mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) am Abend des 27. Januar 2002 über eine denkbare Aufteilung des Unternehmens geredet worden sein, will die Kirch-Seite beweisen.
Middelhoff hatte die Idee zu diesem Abendessen. Er hatte Schröder angerufen, weil er sich angesichts der offenkundigen Schwäche des Kirch-Konzerns sorgte, der US-Kabelunternehmer John Malone und der Medienzar Rupert Murdoch könnten die Situation nutzen, um Teile oder das gesamte Unternehmen zu übernehmen – und damit vor allem den Kabelfernsehmarkt in Deutschland umkrempeln. Middelhoff hatte mit Bertelsmann nur kurz zuvor die RTL Group übernommen und kein Interesse an einem starken Konkurrenten Murdoch, wie er sagt.
„Ich sah in dem Ganzen eine industriepolitische Dimension“, sagt Middelhoff. „Wir wussten seit langem, dass Kirch finanzielle Probleme hatte“. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kirch-Gruppe geschwächt fortbestehen könnte, sei gleich Null gewesen, auch wenn ihm das am liebsten gewesen wäre.
An jenem Abend in Hannover saßen neben Schröder auch Breuer und der mittlerweile gestorbene Chef der WAZ-Gruppe Erich Schumann mit am Tisch. Schumann habe etwa gesagt, dass er – falls Kirch nicht mehr könne – Interesse an dessen Springer-Beteiligung hätte. Breuer sei „zugeknöpft gewesen“ und habe wegen laufender Kredite an Kirch eigentlich gar nichts sagen wollen.
„Im Ergebnis ist dieses Gespräch ergebnislos geblieben», sagt Middelhoff. Er sei damals enttäuscht gewesen. „Für mich war das halt ein Abendessen“. Alle Beteiligten hätten unterschiedliche Interessen gehabt. Wichtiger noch: „Wenn Sie denken, wir teilen jetzt Kirch auf: Das hat es nicht gegeben“. Über eine mögliche Zerschlagung des verschachtelten Münchner Medienunternehmens sei während des feinen Essens nicht geredet worden, unterstreicht Middelhoff. Auch bei einem ersten Treffen am 3. Januar 2002 mit Schröder und Schumann sei nichts dergleichen geschehen. Das Gericht fragt intensiv nach, die Kirch-Seite auch – die Vernehmung geht tief ins Detail.
Richter Kotschy will es in diesem Verfahren ganz genau wissen. Middelhoff ist dabei nur ein prominenter Name, der die ohnehin illustre Zeugenliste länger werden lässt. Zuletzt sagte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann aus, auch sein damaliger Vorstandskollege und heutige Aufsichtsratschef Clemens Börsig stellte sich den Fragen.
Sogar Leo Kirch selbst – schwer krank und im Rollstuhl sitzend – bemühte sich ins Gericht, um mit kaum hörbarer Stimme seine Sicht der Dinge vorzutragen. Auch Verlegerin Friede Springer steht noch auf der Liste, ob auch Altkanzler Schröder eine Aussage macht, ist noch nicht sicher – aber durchaus möglich. [Sebastian Raabe/ar]
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