Kinofilme dürfen teuer sein, im Fernsehen muss es billiger zugehen. Stimmt nicht, sagte sich „Sopranos“-Autor Terence Winter und schuf ein Fernsehepos, das viele als Meisterwerk bezeichnen: „Boardwalk Empire“ ist einer der großen Favoriten für die diesjährigen Emmys.
Im Grunde ist alles eine große Lüge: Der Friseur ist nicht echt, der Bonbonladen auch nicht und die Fahrstühle im Hotel sind einfach nur Kästen. Und falscher als die vergilbten Plakate ist nur noch das Meer – das ist einfach eine blaue Wand. Alles zusammen ist der Drehort für die Serie „Boardwalk Empire“. Mitten in Brooklyn drehen „Die Sopranos“-Autor Terence Winter und „Sex and the City“-Regisseur Tim Van Patten eine der aufwendigsten Serien der Fernsehwelt. Mit Erfolg: Die Serie, seit Februar auf TNT Serie auch in Deutschland zu sehen, gehört zu den großen Favoriten bei der diesjährigen Emmy-Verleihung.
Das Reich des Holzsteges, daher der Name der Serie, ist Atlantic City. Das Städtchen, zwei Autostunden südlich von New York, wollte immer ein Las Vegas der Atlantikküste sein, doch so richtig hat das nie geklappt. Die Serie spielt in einer Zeit, als Las Vegas noch eine unbedeutende Siedlung war, als Alkohol verboten, aber überall zu haben war: Die zwanziger Jahre und ihre Schmuggler- und Gangsterwelt faszinieren nach wie vor Autoren, Regisseure und auch die Zuschauer.
„Menschen, die außerhalb unseres Standards, unseres Wertesystems leben, sind nun einmal spannend“, erklärt Steve Buscemi, der die Hauptrolle spielt, die Faszination. „Man muss sie nicht mögen, aber interessant sind solche Typen schon“. Solch ein Typ ist „Nucky“ Thompson. Buscemi spielt den Ex-Sheriff und Stadtkämmerer, der völlig korrupt ist und selbst korrumpiert, der sich um seine Stadt kümmert und doch krumme Geschäfte macht, Stadtangestellter ist, aber mit Butler eine Hotelsuite bewohnt und Rolls Royce fährt.
Zu viel Hollywood? „Nucky“ Thompson ist eng angelehnt an „Nucky“ Johnson (1883 bis 1968), dem einstigen Paten von Atlantik City. Kein Wunder, dass Gangster-Experte Martin Scorsese („Good Fellas“, „Gangs of New York“) mitproduziert und bei der ersten Folge Regie führte.
Die war mit 18 Millionen Dollar die teuerste Episode der Fernsehgeschichte – da kostet mancher Hollywoodfilm weniger. Allein der Boardwalk hat mehr als fünf Millionen verschlungen. „Und trotzdem war es billiger, es nachzubauen, als die Crew ständig nach Atlantic City zu fahren und da das Original abzusperren und auf zwanziger Jahre zu trimmen“, erklärt Regisseur Van Patten. „Ganz nebenbei lockt New York noch mit erheblichen Steuervorteilen“, sagt er grinsend. Und so entstand in einer Ecke Brooklyns, in der man wirklich nicht die große bunte Welt Hollywoods vermutet, eine gewaltige Kulisse.
„Es ist der Traum eines jeden Regisseurs“, sagt Van Patten. „Wir können das Licht und die Ausstattung genau so machen, dass es hinterher perfekt aussieht“. Sowohl er als auch Winter als auch Buscemi sind in Brooklyn aufgewachsen. „Es ist ein bisschen nach Hause kommen“, sagt Winter. „Aber der tägliche Dreh ist harte Arbeit“. Erst recht für die Schauspieler, die für Winterszenen in schweren Mänteln und mit Pelzmützen rumrennen – bei gut 30 Grad. Für einen Komparsen war es zuviel, er musste ins Krankenhaus.
„Die Sender haben erkannt, dass Qualität teuer sein darf“, sagt Winter. „Es lohnt sich trotzdem“. Gerade ist seine Serie mit 18 Emmy-Nominierungen gewürdigt worden, die nicht weniger aufwendig produzierten Serien „Mad Men“ (19), „Mildred Pierce“ (21) und Van Pattens „Game Of Thrones“ (13) stehen ähnlich hoch in der Gunst der Kritiker. „Wer sagt eigentlich, dass gutes Fernsehen schlechter sein muss als gutes Kino“, sagt Winter leise und breitet seine Arme aus. „Und für gutes Fernsehen ist das hier perfekt“, sagt der Produzent. Dann hält er inne, zeigt auf das Empire State Building, dass über die „Boardwalk“-Kulisse aufragt: „Nur das da muss weg!“ Aber das macht später der Computer. [Chris Melzer]
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