Nach den jüngsten Protesten der Opposition in Aserbaidschan hat die Grünenfraktion im Bundestag ihre Kritik an der Ausrichtung des Eurovision Song Contest in dem autoritär regierten Land verschärft. Grünen-Europapolitiker Werner Schulz sieht die Austragung in Baku hingegen als Chance.
„Baku ist der falsche Ort für eine unbeschwerte Party“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. „Der Eurovision Song Contest hatte für die Menschen vor Ort mit Verhaftungen und Zwangsräumungen von Gebäuden, die für das große Fest Platz machen mussten, einen hohen Preis“.
Das Regime in der Kaukasusrepublik werde versuchen, das Finale des Song Contests am 26. Mai als Propagandashow für sich zu nutzen, sagte Beck. Künstler und Gäste sollten die Situation nicht unkommentiert lassen. Die Botschaft müsse lauten: „Bevor wir bei euch singen und tanzen, müsst ihr erst die politischen Gefangenen freilassen, rechtsstaatliche Verfahren einführen und die schweren Diskriminierungen etwa von Homosexuellen stoppen“, forderte Beck, der auch Sprecher für Menschenrechte seiner Fraktion ist.
Die Propagandamaschine von Präsident Ilcham Alijew versuche, der Öffentlichkeit im Westen vorher etwas anderes über die Zustände im Land vorzugaukeln. Doch die Lage sei für viele Menschen dramatisch, fügte der Grünen-Politiker hinzu. Es würden Wahlen im großen Stil gefälscht. Der enorme Ölreichtum des Landes komme ausschließlich der Oberschicht in der Hauptstadt Baku zugute. Solche Dinge kämen aber kaum ans Tageslicht, weil Journalisten und Blogger in ihrer Arbeit eingeschränkt, verfolgt oder einfach eingesperrt würden.
In Baku hatten am vergangenen Wochenende (8. April) mehrere tausend Regimegegner die Freilassung von politischen Häftlingen und politische Reformen verlangt. Die Opposition hat angekündigt, die Proteste bis zum Song Contest massiv auszuweiten, sollte Alijew nicht einlenken. Das Finale des Musikwettbewerbs findet am 26. Mai statt.
Aus Sicht desGrünen-Europapolitikers Werner Schulz ist die Austragung des ESC im autoritären Aserbaidschan hingegen eine Chance für die Südkaukasus-Republik. „Ich denke, der Song Contest sollte dort stattfinden“, sagte der EU-Parlamentarier kurz nach einer Aserbaidschan-Reise. Das glamouröse Musikereignis mit dem Finale am 26. Mai sei dabei auch eine Gelegenheit, die „dunklen Seiten“ der ölreichen Ex-Sowjetrepublik zu beleuchten.
„Das System regiert mit sehr harter Hand. Es gibt politische Gefangene, es hat Folterungen gegeben, und Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gibt es faktisch nicht“, sagte Schulz nach einer Versammlung von EU-Parlamentariern in der Hauptstadt Baku. „Also die Menschenrechtslage ist alles andere als gut in diesem Land“. Trotzdem gehe die aserbaidschanische Führung auf die europäische Kritik an der Einschränkung der fundamentalen Bürgerrechte ein, wenn auch sehr zögerlich.
So sei zuletzt auch eine Massenkundgebung in Baku erlaubt worden, etwas, was früher verboten gewesen sei. Der Musik-Wettbewerb helfe, das internationale Interesse auf das Land zu lenken. „So wird über Missstände berichtet. Ansonsten würde sich keiner darum kümmern“. Nach den Gesprächen in Baku hat Schulz nach eigener Darstellung den Eindruck, dass es den Willen gibt, „Europa etwas entgegenzukommen, europäische Standards zu übernehmen oder sich in diese Richtung zu entwickeln“.
Die Defizite dürften aber nicht kleingeredet werden. Es bestehe angesichts des Ölreichtums des Landes und der glitzernden Hauptstadt die Gefahr einer Täuschung. Trotzdem: „Ich habe einen offenen Präsidenten Ilcham Alijew erlebt, der über alle möglichen Fragen gesprochen hat. Es ist erkennbar, dass die Führung die Orientierung in Europa und in der Türkei sucht“, sagte Schulz. Ein kritischer Dialog sei derzeit möglich. Anders sei das mit Weißrussland. Schulz sprach sich erneut dafür aus, diesem Land die Ausrichtung der Eishockey-Weltmeisterschaft 2014 zu entziehen. [Joachim Schucht, Ulf Mauder, rh]
Bildquelle:
- Medien_Maerkte_Artikelbild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com