Griechische Tragödie oder Chance für den Neuanfang? Der Staatssender ERT ist abgeschaltet. Nach 75 Jahren verstummt das Radio. Und auf dem Bildschirm erscheint auf schwarzem Hintergrund: „Kein Signal“.
In Griechenland ist in der Nacht zum Mittwoch eine Ära zu Ende gegangen. Erst sagt eine Stimme im Radio noch: „Wir sind noch da.“ Doch kurz danach folgt nur noch Rauschen, begleitet von Pfeiftönen. Das ist das vorläufige Ende des traditionsreichen griechischen Radiosenders von Athen auf der Mittelwellen-Frequenz 729 Kilohertz. Nun krächzt im Mittelwellen-Radio leise eine Stimme in einer anderen Sprache an seiner Stelle. In einer in der europäischen Mediengeschichte einmaligen Nacht-und-Nebel-Aktion hat der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras beschlossen, den Staatsrundfunk ERT blitzschnell zu schließen. Der Beschluss wird am Dienstagnachmittag bekannt. Bis Mitternacht schweigen alle Sender.
Auch auf dem Fernsehbildschirm erscheinen auf den ERT-Kanälen nur ein schwarzer Hintergrund und die Worte „Kein Signal“. Insgesamt sind damit fünf TV-Sender und Dutzende Radiostationen des Staates nun Vergangenheit. 2656 Menschen stehen auf der Straße. Die ERT und ihre Vorgängersender begleiteten seit 1938 die griechischen Hörer. Eine neue Institution ohne die Lasten der Vergangenheit soll bald die alte ERT ersetzen, teilt ein Regierungssprecher mit. Er spricht von einem Bauwerk „auf faulen Fundamenten“ und greift damit gängige Vorwürfe der Vetternwirtschaft gegen den Sender auf.
Die Entscheidung löst eine Welle der Empörung aus. Vor dem Zentralgebäude des staatlichen Fernsehens versammeln sich tausende Demonstranten und protestieren gegen die Schließung. Der Journalistenverband ruft Streiks aus – und zwar solange bis die Regierung den Beschluss zur Abschaltung der ERT zurücknimmt. Nur Nachrichten, die die ERT betreffen, sind erlaubt. „Hinrichtung“ titelt die linksliberale Zeitung „Eleftherotypia“. Die Regierung habe dem Druck der Troika nachgegeben und die Leute auf die Straße gesetzt, heißt es. Sogar der griechische Erzbischof Hieronymus II. geißelt den Beschluß als falsch. Die Gewerkschaft der Staatsbediensteten legt am Donnerstag einen 24-stündigen Streik ein.
Tausende Auslandsgriechen protestieren via Telefon und Internet gegen die Schließung der Anstalt, die für sie „der Nabel“ sei, der sie mit der „alten Heimat“ verbindet. Empört sind auch die Sportfans: Das staatliche Fernsehen überträgt fast alle wichtigen Sportereignisse. Die Übertragungen fallen jetzt aus.
Das Staatsradio und Fernsehen hat in Griechenland eine leidige Geschichte. In den vergangenen Jahrzehnten diente es als Arbeitgeber für Hunderte Parteimitglieder der jeweiligen Regierungsparteien. Ergebnis: Miserable Einschaltquoten und teure Produktionen. Die Hauptnachrichtensendung, das griechische Pendant der „Tagesschau“, hatte zuletzt Einschaltquoten von nur sechs Prozent. Noch schlimmer war es im Radio. Keiner der Sender erschien auf der Liste der 20 einschaltstärksten Radios des Landes.
Das ganze Unternehmen kostete den Griechen rund 300 Millionen Euro jährlich. Zahlen muss jeder zusammen mit der Stromrechnung. Die Höhe dieser Rundfunkabgabe bemaß sich dabei nach dem Energieverbrauch, sie betrug rund ein Zehntel der Rechnung für Elektrizitätskosten. Die ERT beschäftigte siebenmal mehr Angestellte als andere vergleichbare Anstalten in Europa.
Dennoch hatten das Staatsfernsehen und -radio noch Einiges zu bieten: Die Qualität der Sendungen blieb trotz der bürokratischen Probleme auf hohem Niveau. Kulturprogramme, die bei den privaten Sendern keine Chance hatten, wurden von der ERT produziert. Das dritte Radioprogramm (ERA 3) mit seiner klassischen Musik und Belcanto sowie Hörspiele war eine Oase in der griechischen Radiolandschaft. „Wir haben erst heute gemerkt, was wir für einen Schatz verloren haben“, sagte Marios Kourides, ein treuer Hörer des Kultur-Spartenprogramms des griechischen Rundfunks.
Der „Fall ERT“ könnte auch politische Auswirkungen haben. Regierungschef Antonis Samaras hat im Alleingang per Dekret die ERT geschlossen. Athen hatte sich gegenüber den Geldgebern verpflichtet, bis Ende Juni 2000 Staatsbedienstete zu entlassen. Mit der Schließung der ERT hat Samaras Regierung die nötige Zahl bei weitem übertroffen. Er riskiert jetzt einem gefährlichen Koalitionsstreit.
Regierungssprecher Simos Kedikoglou nannte am Mittwoch die Eckpunkte des Plans zur Bildung der neuen Anstalt, die NERIT heissen soll. Diese soll etwa 1200 Angestellte haben. Interessanter Aspekt: Das Sagen in der neuen Anstalt werden wieder drei Minister haben: Der Tourismus-, der Finanz- und der Presseminister. Einige Analysten meinen, Samaras wolle mit seinem Schritt alte Kader der „Partei-Wachhunde“ im Fernsehen loswerden – um durch die Hintertür wieder ihm nahestehende Leute unterzubringen. [Takis Tsafos/hjv]
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