Dass eine Szene der aktuellsten Folge von „The Walking Dead“ auf Fox herausgeschnitten wurde, hat viele Fans empört. Wir haben mit Christina Heinen, Hauptamtliche Prüferin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), über die Szene, die Entscheidung und das Vorgehen der FSF gesprochen. Wer sich besagte Sequenz nicht spoilern möchte, sollte die zweite Frage allerdings überspringen.
Frau Heinen, die FSF hat die Ausstrahlung der neuesten Folge „The Walking Dead“ auf Fox nur unter einer Schnittauflage freigegeben. Bei vielen Fans und Zuschauern löste das Unverständnis und Wut aus. In den Kommentaren auf Facebook und auf Ihrer Webseite wird von „Gängelung“ und „Bevormundung“ gesprochen. Können Sie die Reaktionen nachvollziehen?
Christina Heinen: Ja. Allerdings entscheiden auch wir nicht nach unserem persönlichen Geschmack, sondern sind an die Gesetze gebunden, die es im Bereich Jugendmedienschutz in Deutschland gibt. Unter den Vorschriften im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) werden auch eine Reihe absolut unzulässiger, d.h. auch für Erwachsene verbotener Inhalte genannt (§ 4 Abs. 1 JMStV). Darunter fällt auch Gewaltverherrlichung. Diese sah der juristische Einzelprüfer in Übereinstimmung mit einem Prüfausschuss, der dieselbe Szene beanstandet hatte, in der fraglichen Szene als gegeben an.
Geschnitten werden musste eine Sequenz, in der gefesselte Menschen mit einem Baseballschläger bewusstlos geschlagen werden und ihnen dann die Kehle durchgeschnitten wird. Eine zweifellos sehr harte, grenzwertige Szene in einer Serie, die aber ohnehin nicht zimperlich ist, wenn es um Gewaltdarstellung geht. Was macht die geschnittene Sequenz schlimmer als vergleichbares Material aus „The Walking Dead“?
Heinen: Die Gewalt wirkt in dieser Szene weniger fiktional da sie zwischen Menschen stattfindet. Sie hat etwas tendenziell entmenschlichendes an sich, da Menschen von Menschen wie Schlachtvieh behandelt, einer nach dem anderen getötet und zum Ausbluten über einem Trog platziert werden. Das an ein Schlachthaus erinnernde Setting in dieser Szene unterstreicht diesen Eindruck. Die Gewalt wird detailliert gezeigt (Bersten des Schädels, Kehlschnitte mit aufplatzendem Fleisch). Nach Auffassung des juristischen Einzelprüfers stellt die Szene das Grausame und Unmenschliche der Gewalttätigkeit in einer die Menschenwürde verletzenden Art und Weise dar. Sie behandele die Männer als bloße Objekte und könne beim Rezipienten eine Einstellung erzeugen oder verstärken, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt.
„The Walking Dead“ ist ab 18 Jahren freigegeben und die aktuellen Folgen laufen nur im Pay-TV. Um sie anzuschauen, muss der Nutzer einen Jugendschutz-Pin eingeben. Warum hat die FSF überhaupt eine Schnittauflage erteilt?
Heinen: Für Pay-TV und Free-TV gelten die gleichen gesetzlichen Regelungen, in der Prüfung darf das keine Rolle spielen. Die Vorsperre mit einer PIN erlaubt es dem Pay-TV Anbieter, Sendungen in einer früheren Sendezeitschiene als der durch den Ausschuss beschlossenen auszustrahlen, aber das gilt nur für den Bereich der entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote, nicht für unzulässige Inhalte, da sind die gesetzlichen Anforderungen höher. Absolut unzulässige Inhalte (und das ist bei der fraglichen Szene der Fall, da sie als gewaltverherrlichend und als Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 5 JMStV eingestuft wurde) dürfen gar nicht verbreitet werden, weder im TV, noch im Pay-TV noch im Netz. Sie dürfen auch für Erwachsene nicht zugänglich gemacht werden.
Vielfach werden Schnittauflagen oder ein verhängtes Ausstrahlungsverbot als unzulässige Zensur bezeichnet. In der Tat ist eine Zensur nach Art. 5 Abs. 1 letzter Satz Grundgesetz verboten. Allerdings ist unter dem Begriff „Zensur“ in der Rechtsprechung immer eine Vorzensur durch staatliche Institutionen oder Behörden gemeint. Denn nach Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz findet die Freiheit ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere in den Gesetzen zum Schutz der Jugend. Wichtig allerdings ist, dass staatliche Eingriffe immer erst nach der Veröffentlichung bestimmter medialer Inhalte erfolgen dürfen.
Die Film- und Fernsehwirtschaft hat es nicht zuletzt aus kommerziellem Interesse vorgezogen, auf freiwilligem Wege über fachkundige Ausschüsse von Selbstkontrolleinrichtungen prüfen zu lassen, ob ihre Programme Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen könnten.
Wie muss sich der Fernsehzuschauer den Hergang einer solchen Entscheidung vorstellen? Wer sitzt im Gremium und wie wird entschieden, was jugendgefährdend ist und was nicht?
Heinen: Im Prüfausschuss sitzen fünf Prüfer (unterschiedlicher Professionen: Juristen, Medienpädagogen, Autoren von Kinderbüchern, Lehrer, Journalisten etc.), die die Episode ansehen und anschließend darüber diskutieren, auf Grundlage der Prüfordnung der FSF und des JMStV. Dann wird abgestimmt, per Mehrheitsentscheid. In diesem Fall gewann der Ausschuss den Eindruck, dass die Episode eventuell Gewalt verherrlichend im Sinne des § 4 Abs. 1 JMStV ist und hat sie deshalb noch an einen juristischen Einzelprüfer weitergereicht (steht so in der Prüfordnung als Verfahren). Nach Einschätzung des juristischen Sachverständigen werden die in der Episode gezeigten Gewalttätigkeiten gegen Zombies, aber auch gegen Menschen in der Gesamtschau nicht in einer Art und Weise geschildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung zum Ausdruck bringen oder das Grausame des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen. Eine Ausnahme wird allerdings in der besagten Szene gesehen, die auch der Prüfausschuss mit einer Schnittauflage belegte.
Der Begriff „Freiwillig“ in „Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen“ sorgt bei einigen Zuschauern für Verwirrung. Wer mit Ihren Entscheidungen nicht einverstanden ist, meint, ihm wäre etwas (in diesem Fall ein Schnitt) aufgezwungen worden. Sind Ihre Urteile für Fernsehsender und Produktionsfirmen bindend?
Heinen: Unsere Prüfentscheidungen sind bindend. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, den die privaten Fernsehsender gegründet haben um ihren Pflichten nach dem JMStV nachzukommen. Unsere Entscheidungen bieten dem Sender Rechtssicherheit insofern, dass er nicht mehr durch die staatliche Aufsicht (Medienanstalten, KJM) belangt werden kann.
Fox hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Wann ist hier eine Entscheidung zu erwarten?
Heinen: Der Juristenausschuss wird innerhalb der nächsten 4 Wochen über die Schnittauflage auf Grundlage von § 4 Satz 1 Abs. 5 JMStV (Gewaltverherrlichung) urteilen. Wenn diese aufgehoben würde, müsste allerdings noch ein normaler Berufungsausschuss über die Entscheidung des Prüfausschusses, der dieselbe Szene ja auch für sendeunzulässig hielt, aufgrund von § 4 Abs. 2 Nr. 3 JMStV (offensichtlich schwere Jugendgefährdung), beraten und diese ggf. auch aufheben. Dann erst könnte die Episode ungeschnitten im TV gezeigt werden.
Vielen Dank für das Gespräch![chp]
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