Die Cebit will weg vom Image einer Krawattenträger-Veranstaltung. Stattdessen sollen mehr Junge und Kreative – Blogger, Influencer, Visionäre und Technikfreaks – nach Hannover kommen. Event statt Messe, Streetfood statt Bratwurst. Geht das Versprechen auf?
Ein Riesenrad ist das Wahrzeichen der diesjährigen Cebit. Ein Software-Konzern hat es mitten auf dem Messegelände von Hannover aufgebaut. 60 Meter hoch, 40 Kabinen, in 10 Minuten geht es hoch und runter. Einige Meter weiter gibt es ein Wasserbecken mit einer „stehende Welle“. Dort können die Besucher auf unsicherem Terrain ihr Geschick auf dem Surfbrett austesten. Beides ist ungewöhnlich für eine IT-Messe, aber beides steht symbolisch für den Neuanfang. Denn die Cebit soll weg vom drögen Image einer Messe für Krawattenträger, hin zu einem „Digitalfestival“ mit Coolness-Faktor.
Die Macher haben sich viel vorgenommen: Zur „neuen Cebit“ sollen App-Entwickler, Blogger, „Influencer“ aus sozialen Medien kommen. Das sind jene Zielgruppen, die man mit dem bisherigen Messekonzept nicht nach Hannover locken konnte, schon gar nicht im kalten März, in dem es auch mal Schneeverwehungen geben konnte.
Digitalisierung zum Anfassen, lautet die Devise: Autonomes Fahren, ein (am Boden stehendes) Flugtaxi, Blockchain-Anwendungen, Virtuelle Realität. Auf dem d!campus, so wie sich das Freigelände jetzt nennt, Foodtrucks, Poetry Slam, Chill-out-Ecken mit Kissen und Holzpaletten. Abends sollen Konzertauftritte von Mando Diao und Jan Delay für Stimmung sorgen.
Als Star-Redner wurde am Montag der Internetpionier Jaron Lanier nach Hannover geholt, der einst den Begriff „virtuelle Realität“ prägte. Er warnte vor einer Übermacht der Sozialen Medien mit ihrer Datenanalyse und empfahl den Besuchern, sich von Facebook, Twitter und Co zu verabschieden. Auf jeden Fall ein Kontrastprogramm zum „Influencer“-Festival. Und die Hallen mit ihren Firmenständen sehen auf den ersten Blick nicht viel anders aus als sonst, außer dass vielleicht mehr Sitzgelegenheiten dazugekommen sind. Eventuell muss das auch so sein: Gerade mittelständische Aussteller betonen, dass sie eine klassische Messe-Umgebung für den Kontakt zu ihren Kunden begrüßen. Und die Cebit ist für sie eine wichtige Plattform.
Großes Vorbild für den Wandel der Cebit ist neben der Tech-Konferenz Web Summit in Lissabon die angesagte „South by Southwest“ in Texas. Das bunte, vibrierende Festival für Musik, Film und Technologie lockt alljährlich im März Kreative, Künstler und Techies nach Austin. Dort wurde einst Twitter vorgestellt, dort sind schon der damalige Präsident Barack Obama, aber auch Musiker wie Lady Gaga aufgetreten. Tagsüber wird Business gemacht, nachts in den unzähligen Bars und Nachtclubs gefeiert. Von dieser besonderen Atmosphäre und von der internationalen Relevanz wird die Cebit – dem ersten Eindruck zufolge – in dieser Woche sehr weit entfernt bleiben.
Und es bleibt auch die Frage, ob sich das junge Publikum allein mit dem Versprechen eines Neuanfangs umstimmen lässt. Ein Web Summit oder eine „South by Southwest“, die Noah Konferenz in Berlin oder die „Online Marketing Rockstars“ in Hamburg leben davon, dass sie als Treffpunkte zum „Netzwerken“ etabliert sind. Die Leute fahren hin, weil sie wissen, dass sie dort jede Menge für sie relevanter Leute treffen werden. Es kann Jahre dauern, sich einen solchen Ruf aufzubauen.
Für die Cebit-Macher geht es bei dem Neubeginn um nichts weniger als eine Überlebensstrategie: Die einst unumstritten weltgrößte IT-Messe war in den letzten Jahren zunehmend ins Schlingern geraten. Die Cebit mit ihrem traditionellen Termin im März wurde eingequetscht zwischen Tech-Events, die ihr die Relevanz absaugten. Für den US-Markt ist die Technik-Messe CES in Las Vegas im Januar der Mittelpunkt. Die Allgegenwärtigkeit der Smartphones machte den Mobile World Congress in Barcelona Ende Februar zum Pflicht-Termin. Die digitalisierte Industrie stellt auf der Hannover Messe im April aus.
Auf dem Höhepunkt Anfang des Jahrtausends kamen zur Cebit noch über 800 000 Besuche – zuletzt kam gerade mal ein Viertel davon. Ein Grund mag die Ausrichtung auf Business-Kunden statt der von großen Ausstellern als „Beutelratten“ verschmähten Privatbesucher sein. Aber auch gemessen an der Branchenrelevanz nahm das Gewicht der Messe stetig ab. Hätte man weitergemacht wie bisher, würde die Veranstaltung auf ihr Ende zusteuern, lässt man in Hannover durchblicken.
Der Cebit blieb nach drei Jahrzehnten mal wieder nur die Erneuerung. So radikal wie jetzt hat sie sich aber noch nie gewandelt. Sie wurde vom März in den Juni verlegt. Zum Messeprogramm kommt ein Konferenzteil mit 500 Speakern aus aller Welt. Die Cebit-Macher glauben, mit dem „Digitalfestival“ eine Lücke gefunden zu haben, die man ausfüllen kann. „Deutschland braucht einen Standort, an dem sich alle Akteure der Digitalisierung versammeln“, beschwor Messechef Oliver Frese zum Auftakt am Montag. Der erste Versuch ist gemacht. Ob das neue Konzept jedoch langfristig aufgeht, bleibt abzuwarten.
[Jenny Tobien und Andrej Sokolow]
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