Die Meinungen anderer auszuhalten ist oft schwierig, vor allem, wenn sie deutlich von der eigenen abweichen. Genau das will „Deutschland spricht“ erreichen: ein Aufeinandertreffen von Andersdenkenden, die miteinander reden, statt aufeinander einzuschlagen.
Von Köln bis Chemnitz und von Sylt bis Sonthofen haben am Sonntag Tausende zu zweit über strittige Themen diskutiert. Allein 100 Teilnehmer der Aktion „Deutschland spricht“ trafen sich bei der zentralen Veranstaltung in Berlin, um einem politisch Andersdenkenden zuzuhören und ihm die Meinung zu sagen. Viel zu oft sei es in Deutschland anders, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen hatte: „Deutschland spricht nicht, Deutschland brüllt.“
Kommunikation mit Andersdenkenden sei anstrengend, aber ihre Verweigerung das Ende der Kompromissfähigkeit, so das Staatsoberhaupt. „Wir erleben Wut und Protest auf deutschen Straßen, hin- und herfliegende Empörungsfetzen, Hass und Gewaltausbrüche“, sagte Steinmeier. „Wer andere herabwürdigt, bedroht, ihre Zugehörigkeit und Gleichberechtigung abspricht, zerstört die Gesprächsgrundlage, die er für sich selbst in Anspruch nimmt.“ Dagegen sei „Deutschland spricht“ der Versuch, den Dialog über Trennendes hinweg zu führen.
„Zeit Online“-Chefredakteur Jochen Wegner sagte: „Die Filterblase ist nicht im Internet, sie ist in unserem Kopf.“ Das Gespräch mit Andersdenkenden ermögliche, das zu ändern. „Deutschland spricht“ ist ein Projekt auf Initiative von „Zeit Online“ zusammen mit einer Reihe weiterer Medien. Ursprünglich sei „Deutschland spricht“ eine Schnapsidee in Zeiten von Brexit und Trump gewesen, sagte Wegner. Nach der Premiere 2017 in deutlich kleinerem Rahmen habe es inzwischen aber zahlreiche Anfragen aus dem Ausland gegeben.
Bald soll es ähnliche Aktionen zum Beispiel auch in Österreich, der Schweiz, Tschechien oder Italien geben.
An dem bundesweiten Austauschprojekt für Andersdenkende nahmen am Sonntag rund 4300 Duos teil. Sie alle hatten zunächst Fragen beantwortet wie „Können Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland gut zusammen leben?“ oder „Sollten deutsche Innenstädte autofrei werden?“. Eine Software übernahm die Vermittlung von jeweils zwei Gesprächspartnern, die in ihren politischen Ansichten weit auseinanderliegen, aber nah beieinander leben.
Bei ihren Treffen in Cafés, Kneipen, beim Waldspaziergang oder auf dem Balkon hatten sie Gelegenheit, sich bis in die Abendstunden weiter auszutauschen – bei manchen Themen einig zu werden – oder auch nicht.
Neben „Zeit“ und „Zeit Online“ engagierten sich für das Projekt „Deutschland spricht“ auch „Der Spiegel“, die „Süddeutsche Zeitung“ und „SZ.de“, die Südwest-Presse, „Der Tagesspiegel“, die „Schwäbische Zeitung“, „tagesschau.de“ und „Tagesthemen“ (ARD-aktuell), „t-online.de“, die „Landeszeitung Lüneburg“, „Chrismon“ und „evangelisch.de“ sowie die Deutsche Presse-Agentur.
[dpa]
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