Sie kommt von der ARD-Spielfilmtochter Degeto und übernimmt nun die Leitung des Ersten Deutschen Fernsehens und der ARD-Mediathek: Welche Pläne Christine Strobl hat, erklärt sie im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.
Sie kennt die gesamte deutsche Schauspielprominenz und hat der ARD mit dem weltweiten Serien-Erfolg „Babylon Berlin“ viel Ruhm beschert: Jetzt macht die Chefin der ARD-Spielfilmtochter Degeto, Christine Strobl, den nächsten Karriereschritt und übernimmt ab Samstag (1. Mai) die ARD-Programmdirektion. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht die 49-Jährige darüber, wie sie sich die ARD der Zukunft vorstellt, wo sie Luft nach oben sieht und wie sie mit Kritik umgeht.
Haben Sie sich schon eine Liste mit den großen Baustellen zum Jobstart angelegt?
Ich habe keine Liste – sowas lege ich mir nur zum Einkaufen an. Das Entscheidende ist: Wir müssen uns klarmachen, dass wir ein Angebot für alle Bevölkerungsgruppen schaffen. Wenn ich auf unsere Analyse schaue und feststelle, dass 70 Prozent unserer TV-Zuschauerinnen und -Zuschauer des klassischen Fernsehprogramms über 50 Jahre alt sind, zeigt es mir, dass wir mit diesem Medium allein im Grunde keine Chance mehr haben, ein Angebot für alle zu machen.
Was schlussfolgern Sie?
… dass die ARD-Mediathek genauso gleichberechtigt in unserem Blick sein muss wie das Erste Deutsche Fernsehen, um dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wirklich alle zu erreichen, auch gerecht werden zu können. Das wiederum bedeutet, dass wir einen digitalen Umbau hinbekommen müssen. Mit nicht größer werdenden Mitteln, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Wird die ARD in einigen Jahren vor allem ein Streaming-Anbieter sein?
Wir wollen da sein, wo unsere Zuschauerinnen und Zuschauer sind. Momentan haben wir die Situation, dass die Mediathek noch überwiegend das Angebot des linearen Fernsehens übernimmt. Es gibt aber schon erste Ansätze mit exklusiven Angeboten. Um die Mediathek entscheidend nach vorne zu bringen, müssen wir regelmäßig Serien, Filme und Dokumentationen für die Mediathek anbieten, die konkurrenzfähig sind. Diesen Umbau, den wir vor einem Jahr eingeleitet haben, müssen wir jetzt konsequent fortführen und regelmäßig eigene und originäre Angebote für die Mediathek schaffen. Und gleichzeitig müssen wir unser lineares Flaggschiff deutlich im Profil schärfen, um damit eine Relevanz und Durchschlagskraft zu erzielen.
Corona hat es gezeigt, dass die Deutschen „Brennpunkt“- und „ARD extra“-Sondersendungen zu aktuellen Ereignissen gerne sehen und die Erwartung haben, dass das auch da ist. Momentan gibt es ein Medium – die „Bild“-Zeitung mit ihrem Video-Live-Angebot im Netz –, das besonders stark in die Richtung Aktualität geht – etwa mit stundenlanger Live-Berichterstattung aus dem CDU-Parteivorstand beim Kampf um die Kanzlerkandidatur. Ist das etwas, wovon die ARD lernen kann?
Wir müssen nicht von Bild Live lernen. Wir sind im Verbund richtig gut. Wir haben mit dem ZDF den gemeinsamen Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix, zudem Tagesschau24 als lineares und digitales Angebot und wir können in der ARD-Mediathek live streamen. Aber in der Tat müssen wir uns hier noch stärker im Verbund verzahnen. Wenn etwas von einer außergewöhnlichen Tragweite passiert, sind wir da. Wir müssen noch präziser darauf achten, dass wir den Menschen, die vielleicht ihre geliebte Serie im Ersten anschauen, sehr schnell sagen: Achtung, es passiert gerade was Wichtiges in der Welt. Sie sollten den klaren Hinweis bekommen, wo sie sich im ARD-Verbund informieren können. Bei einer bestimmten Bedeutung des Ereignisses wünsche ich mir auch, dass wir im Ersten sehr schnell live dabei sind.
Die politische Debatte um die Reform von Struktur und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in vollem Gange. Wie würden Sie die ARD beschreiben, die Sie wollen?
Die ARD muss ein echtes Netzwerk werden mit viel Energie, Kraft und Wissen, eine Familie, in der wir uns austauschen und nicht jeder alles machen muss, sondern in der wir Schwerpunkte setzen und vielleicht auch Kompetenzzentren nur an einem Ort schaffen. Wichtig ist, dass regionale Vielfalt nicht heißt, dass wir Dinge doppelt machen, sondern im Miteinander zielgerichtet die gemeinsamen Ausspielwege stärken. Dann haben wir als Netzwerk des Austausches, des Miteinanders, eine große Chance, eine starke Einheit zu sein. Dieses Netzwerk muss aber im Miteinander funktionieren und nicht im Konkurrenzkampf.
Gibt es eine Überschrift dafür?
Die ARD sollte sich zu einem attraktiven und relevanten Inhalte-Netzwerk entwickeln. Das große Ziel ist: ein Angebot für alle – und zwar jeweils da, wo die Nutzerinnen und Nutzer es wollen.
Die direkte TV-Konkurrenz ist das ZDF, das seit Jahren bessere TV-Quoten im Jahresvergleich hat. Wie wollen Sie das ZDF überholen?
Das ist eine Diskussion, die für mich ein stückweit rückwärtsgewandt ist. Mich bedrückt am meisten, dass wir für eine Bevölkerungsgruppe, der alleine aufgrund der Altersstruktur die Zukunft gehört, zu wenig relevant sind. Deswegen ist mein Hauptaugenmerk nicht so sehr der Konkurrenzkampf mit dem ZDF, sondern es geht darum, die ganze Bevölkerung zu erreichen. Entscheidend ist für mich, dass wir als öffentlich-rechtlicher Senderverbund Programm für alle bieten. Da ist unsere Mediathek jetzt auf einem sehr guten Weg, aber wir sind halt ein bisschen später gestartet und die föderale Aufstellung hat in dieser Frage nicht immer geholfen. Das aber muss gelingen, sonst werden uns die Menschen in ein paar Jahren nicht mehr auf dem Schirm haben.
Um welches Format beneiden Sie die TV-Konkurrenz? ZDF-Satire-Show von Jan Böhmermann lieber im Ersten?
Das wäre mir zu einfach. Wir haben und finden eigene Antworten und Protagonisten. Aber es ist ein gutes Stichwort: Diese berühmte Köpfe-Strategie wird etwas sein, das sollten wir insbesondere mit Blick auf die ARD-Mediathek stärker in Angriff nehmen. Warum haben so viele Menschen vor der US-Präsidentenwahl die Dokumentation von „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni über seine deutsch-amerikanische Familie in den USA verfolgt? Weil er als Person einen emotionalen Zugang zu diesem Thema gefunden hat, der einen persönlichen Blickwinkel ermöglicht. Vielleicht müssen wir auch mal bei der Konkurrenz schauen, mir ist es aber immer lieber, wenn wir die Köpfe selbst aufbauen.
Nach dem weltweiten Erfolg der 1920er-Jahre-Serie „Babylon Berlin“ – wie viele Flaggschiff-Produktionen wird es im Ersten künftig geben?
„Babylon Berlin“ war der erste Schritt hin zu international konkurrenzfähigen Serien-Projekten. Ich glaube, dass wir regelmäßig diese Art von Programmen brauchen. „Babylon Berlin“ hat uns sehr geholfen für künftige internationale Finanzierungen. Wenn Sie sagen: „Wir haben ‚Babylon Berlin‘ gemacht“, dann hört Ihnen jemand in der Welt zu. Wir werden es nicht aus Deutschland heraus schaffen, große Serien alleine zu finanzieren. Ich glaube, wir brauchen ein bis zwei Formate dieser Größenordnung pro Jahr.
Haben Sie als Degeto-Chefin schon einmal ein Drehbuch zu einem Projekt abgelehnt, das Sie dann beim ZDF oder bei RTL gesehen haben?
Ja klar gibt es Bücher, die hat man gelesen und nicht gesehen, was in ihnen steckt. Und dann sieht man die Verfilmung in einem anderen Programm …
Verraten Sie uns eines?
Auf gar keinen Fall! Bei der Degeto haben wir ungefähr 1500 Stoffvorschläge im Jahr, davon können wir ungefähr 100 realisieren.
Es gibt in der Gesellschaft Misstrauens-Reflexe – Sie selbst sind Opfer davon in Sozialen Netzwerken geworden, als Sie zur ARD-Programmdirektorin berufen wurden. Da wird dann darauf verwiesen, dass der CDU-Politiker und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Ihr Vater und CDU-Vize Thomas Strobl Ihr Ehemann ist. Und, dass Sie ein CDU-Parteibuch haben. Was antworten Sie solchen Kritikern?
Mir tut es immer ein bisschen leid, dass meine Mutter dabei unterschlagen wird. (lacht) Sie ist für mich eine sehr entscheidende Persönlichkeit in meinem Leben. Aber im Ernst: Jeder von uns hat eine private Haltung und hat das Recht auf Verwandtschaft. Das hat mit meinem Job nichts zu tun und darf auch nichts damit zu tun haben. Ich gehe meiner Aufgabe in der jeweiligen Funktion unabhängig von meiner Verwandtschaft und auch politischen Haltung nach. Ich habe aber kein Problem damit, wenn ich danach gefragt werde. Ich bin da sehr für Transparenz, denn es darf nicht einmal der Schein entstehen, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hat.
Juckt es Sie in den Fingern, den Kampf in der Union der letzten Wochen um die Kanzlerkandidatur zu verfilmen und wenn ja, mit wem in den Hauptrollen? Kann Matthias Brandt Söder?
Ich habe mir in der Fiktion angewöhnt, die Stoffe erst einmal ein bisschen abhängen zu lassen, bevor man sich ihnen widmet. Für das fiktionale Erzählen ist es immer ganz gut, ein paar Jahrzehnte vergehen zu lassen. Dann kann man die Dinge wirklich besser beurteilen. Fragen Sie mich in 30 Jahren noch einmal.
Nachfolgerin von Volker Herres
Christine Strobl (49) übernimmt zum 1. Mai als ARD-Programmdirektorin die Nachfolge von Volker Herres, der vorzeitig Ende April aufhört. Sie verantwortet in ihrer neuen Funktion das Erste Deutsche Fernsehen, die ARD-Mediathek und sitzt der neu beauftragten Videoprogrammkonferenz vor, die für die linearen und nonlinearen Videoangebote zuständig ist. Die Juristin kennt die ARD-Gemeinschaft schon lange – 1999 kam sie als Trainee zum Südwestrundfunk. 2007 übernahm sie die Leitung der Fernsehabteilung Kinder- und Familienprogramm und ab 2011 die Leitung der Hauptabteilung Film- und Familienprogramm beim SWR. 2012 folgte der Schritt zur ARD-Tochter Degeto Film GmbH als Geschäftsführerin.
Interview: dpa/ Redaktion: JN