Mehr Experten als Kommentatoren: Bei der EM haben ARD, ZDF und Magenta TV ein Riesenaufgebot an Fußball-Erklärern dabei. Das ist nicht unumstritten.
Ohne sie geht es scheinbar nicht mehr. In Mannschaftsstärke haben die ARD, das ZDF und die Telekom bei der Fußball-Europameisterschaft Experten aufgeboten, um den Menschen die Fußball-Welt zu erklären. Medienwissenschaftler sehen das durchaus kritisch. „Man kann schon verstehen, dass manch einem Zuschauer die Sendungen wie eine Invasion der Experten vorkommen“, sagte Christoph Bertling vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutsche Sporthochschule in Köln.
Die Sender haben naturgemäß eine andere Sicht. „Bei einer EM schauen nicht nur die Vielseher zu, es schalten auch Frauen und Männer ein, die Fußball sonst nicht so beschäftigt. Wir können und müssen mehr erklären und vertiefen“, sagt ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann der Deutschen Presse-Agentur.
Unterschied zwischen Experten und Journalisten
Ähnlich sieht es EM-Teamchef Steffen Simon von der ARD: „Was den Experten vom Journalisten unterscheidet, ist die Innensicht“, erklärt er. „Journalisten kennen nicht das Innenleben eines Turnierlagers. Was passiert da wirklich unter den Spielern? Wie wird kommuniziert? Wir sind bei den Mannschaftsbesprechungen nicht dabei. Diese Sichtweise ist eine spannende Ergänzung.“
Neu sind Experten bei Fußball-Übertragungen nicht. Bei dieser EM fällt aber die große Zahl auf. Ihren üblichen Pool an Fachleuten haben ARD und ZDF noch einmal aufgestockt. Und auch die Telekom hat für ihre kostenpflichtige Plattform Magenta TV Expertise verpflichtet.
Für die ARD reist beispielsweise 2014-Weltmeister Bastian Schweinsteiger an der Seite von Moderatorin Jessy Wellmer durch das paneuropäische Turnier, im WDR-Studio in Köln wandeln U21-Erfolgstrainer Stefan Kuntz, Nationaltorhüterin Almuth Schult und der Fußball-Weltreisende Kevin-Prince Boateng zwischen Analyse und Anekdote. Auf dem Mainzer Lerchenberg des ZDF spielt unter anderem das Weltmeister-Duo Peer Mertesacker und Christoph Kramer verbal Doppelpass.
Bei Magenta TV beschreiben Herthas Neu-Manager Fredi Bobic und der einstige „Capitano“ Michael Ballack ihre Sicht der Dinge. Und um den Arbeitskreis der Fachkräfte ganzheitlicher zu machen, sind auch Regel-Vertreter wie die Ex-Schiedsrichter Lutz Wagner (ARD) und Manuel Gräfe (ZDF) dabei. Dazu kommen noch zahlreiche Co-Kommentatoren.
Mehr Glaubwürdigkeit durch Experten?
„Die Sender erhoffen sich mehr Glaubwürdigkeit durch vermeintliches Expertenwissen und mehr Nähe zum Sport durch Insider-Informationen – und damit auch höhere Einschaltquoten“, sagt Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin Jana Wiske. Die Professorin der Hochschule Ansbach sieht das ausufernde Expertentum durchaus problematisch.
„Die aktuelle Masse an Experten verwässert nicht nur wichtige Kernaussagen einzelner, durchaus starker Experten wie Almuth Schult, Christoph Kramer oder Per Mertesacker, sondern sorgt auch dafür, dass der Sportjournalist seiner Basisaufgabe, einzuordnen und zu bewerten, nur in Teilen gerecht wird, weil er zu vielen anderen das Wort überlässt“, sagte Wiske. Bertling ergänzte: „Ein Fußballspiel ist ja nicht so komplex, dass es vor dem Sehen fachmännisch von allen Seiten beäugt werden muss.“
Erfahrungen und Einblicke
Schweinsteigers ARD-Co-Europareisende Wellmer verteidigt den Einsatz der Fußball-Erklärer. „Grundsätzlich: Die Experten – das gilt auch für Almuth Schult, Prince Boateng und Stefan Kuntz – sind dabei, weil sie Experten sind. Weil sie wirklich sehr gut Bescheid wissen über ihren Sport“, sagt sie. „Und für den Zuschauer ist es schön, Leuten beim angeregten Gespräch über das Turnier und die Spiele zuzuhören.“ Man könne im Dialog die Ereignisse viel besser von allen Seiten betrachten, „weil jeder einzelne eine eigene Sicht hat“.
Die bisher viel gelobte Schult sagte zu ihrem ARD-Job: „Gerade wenn man auf internationalem Niveau gespielt hat, auch in der Nationalmannschaft gespielt und internationale Turnieren erlebt hat, dann kann man aus den eigenen Erfahrungen Einblicke geben.“
Ihr ARD-Kollege Kuntz sagte: «Ich finde es cool, wenn jemand am Ende vorm Fernseher sitzt und sagt: „Ah, so habe ich das noch gar nicht bedacht. Das ist ein guter Hinweis, da muss ich das nächste Mal hinsehen“ oder „Ah ja, das ist auch eine Möglichkeit.“»
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