Solange es Fernsehen schon gibt, bemüht sich das Medium, die ganze Wahrheit auf den Bildschirm zu bringen. Manchmal muss bei diesem komplexen Unterfangen ein bisschen nachgeholfen werden.
Truman ist ein Vorzeige-Amerikaner gewesen: nettes Häuschen, netter Job, nette Frau – ein Welt zum Verlieben. Als er plötzlich nach rund 30 Jahren seines Lebens wittert, dass etwas um ihn herum nicht stimmt, durchbricht er seine Grenzen und findet heraus, dass alles ein Fake ist: Er ist Hauptdarsteller der „Truman Show“, die jeden Tag im US-Fernsehen läuft. Um ihn herum, auch seine Frau, sind alle Schauspieler. Die Mediensatire „Truman Show“ war vor 18 Jahren ein Kinohit – und hat nichts von ihrer Aussage eingebüßt.
Zuletzt hat Jan Böhmermann die Fake-Welt des heimischen Fernsehens auf seine typische Art aufgebohrt. Der Satiriker und sein Team haben die RTL-Show „Schwiegertochter gesucht“ mit zwei eingeschleusten Fake-Kandidaten hochgehen lassen und die Diskussion um das deutsche Fernsehen und seine vielen Reality-Dokus, die so recht gar keine sind, erneut entfacht. Dabei herrschte zuletzt eine Ruhe, als hätte sich jeder mit dem Phänomen Pseudo-Reality arrangiert.
Vor allem die Nachmittage der großen TV-Sender sind mit kostengünstig produzierten Reihen gespickt, in denen sich am Rande der Gesellschaft stehende Menschen, so scheint es, ohrenbetäubend anschreien und einen überflüssigen Streit um des Kaisers Bart nach dem anderen lostreten: „Der Blaulicht Report“, „Verdachtsfälle“ und „Betrugsfälle“ sind es bei RTL, „Auf Streife“, „Anwälte im Einsatz“ oder „Mein dunkles Geheimnis“ sind es bei Sat.1. Die Marktanteile stimmen meist – das bedeutet sicheres Geld.
So richtig wundern tut sich keiner mehr über die herumwütenden Laiendarsteller. Das Spielchen geht einfach weiter. Denn die Rezeptur des Fernsehens muss weiter bedient werden. Hauptsache sei es, „dass der Zuschauer sich abgrenzen kann, dass er sich überlegen fühlt“, sagte die Hamburger Reality-TV-Forscherin Joan Bleicher am Freitag nach Böhmermanns Husarenstück. Gleichzeitig sei zu beobachten, wie sich Reality-Formate langsam totliefen. „Um noch Aufmerksamkeit zu bekommen, muss man natürlich erfolgsbewährte Effekte steigern. Und dazu zählen natürlich skurrile Kandidaten.“
Und dabei wird seit je kräftig nachgeholfen: Schon vor Jahren wurde unter anderem ein 48-Jähriger entlarvt, der in der RTL-Show „Bauer sucht Frau“ auftrat, aber gar kein Bauer war. Und ein nordfriesischer Bauer war gar kein Single, als er sich bewarb. Eine Teilnehmerin der pfundigen Sat.1-Show „Schwer verliebt“ beklagte öffentlich, sie müsse wie die anderen Teilnehmer nach einem geheimen Drehbuch agieren und werde durch peinliche Szenen bloßgestellt. „Bekloppte spielen Bescheuerte nach. Das macht das Fernsehen kaputt“, analysierte der Satiriker Oliver Kalkofe in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur einmal haarscharf.
Vera Int-Veen, jüngst durch Böhmermann schwer in Verlegenheit gebracht, hatte schon einmal Ärger: Bei ihrer Dokusoap „Mietprellern auf der Spur“ wurde ihr vorgeworfen, sich mit dem Produktionsteam ungerechtfertigt Zugang zu einer Wohnung verschafft zu haben. Auch der inzwischen alteingesessene „Frauentausch“ auf RTL II brachte Konfliktstoff: Eine Mutter klagte vor dem Berliner Landgericht, der Sender habe sie als überfordert und verwirrt dargestellt.
Die Praxis, der Wahrheit ihre eigene Note zu geben, wird gemeinhin dem Privatfernsehen zugeordnet. Deswegen bemerkte der gerade frisch gewählte neue ZDF-Intendant Thomas Bellut schon vor rund fünf Jahren im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „RTL transportiert ein fragwürdiges Menschenbild“. Soziologen hätten „eine schöne Erklärung“ dafür, warum Reality-TV-Sendungen so erfolgreich seien. „Sie nennen es sozialen Abwärtsvergleich.“ Er spielte damit auf die Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ an.
Die Replik kam prompt: RTL-Chefin Schäferkordt rügte, „dass Protagonisten ausgerechnet der Sendung, die Herr Bellut verallgemeinernd für das gesamte Programm von RTL kritisiert, genau diejenigen sind, die zur letzten Ausgabe der ZDF-Vorzeigeshow „Wetten, dass..?“ als Gäste für Quote gesorgt haben.“ Dieser Streit zumindest war echt. [Carsten Rave]
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