Der Eurovision Song Contest 2012 pendelt zwischen Showspektakel und Menschenrechtsfragen. Das Gastgeberland Aserbaidschan steht wegen seiner autoritären Führung in der Kritik. Das können auch spaßige Geplänkel um parodistische Songtitel nicht verdrängen.
Der Eurovision Song Contest 2012 kommt aus den Schlagzeilen nicht heraus. Gibt es einerseits eher nichtige Streitereien um Songtitel wie die Ralph-Siegel-Komposition „Facebook, uh, oh, oh“, geht es auf der politischen Bühne um ernste Vorwürfe gegen die autoritäre aserbaidschanische Führung. Die Bundesregierung kritisierte am Donnerstag Folterungen in der Kaukasus-Republik. Die Menschenrechtssituation in dem Land habe sich durch die Entscheidung für den Grand Prix nicht verändert.
Nach Berichten von Menschenrechtlern habe es vergangenes Jahr in Gefängnissen, Polizeianstalten und anderswo mindestens 136 Fälle von Folter gegeben, antwortete das Auswärtige Amt auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Neun Menschen seien an den Folgen gestorben. Grundlage dafür ist ein Bericht des „Aserbaidschanischen Komitees gegen Folterungen“ („Azerbaijan Committee Against Tortures“), das als „vertrauenswürdig“ eingeschätzt werde. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, habe bei einem Besuch Aserbaidschans im August 2011 selbst „deutliche Defizite bei bürgerlichen und politischen Rechten festgestellt“.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Reporter ohne Grenzen kritisieren seit langem, dass es in der ehemaligen Sowjetrepublik Defizite bei Presse- und Meinungsfreiheit gebe. Aserbaidschanische Nichtregierungsorganisationen haben angekündigt, zum ESC Ende Mai die Kampagne „Sing for Democracy“ zu veranstalten, um die internationale Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtslage zu lenken.
Die Probleme des deutschen Grand-Prix-Urgesteins Ralph Siegel mit seinem Titel für San Marino waren dagegen einfach zu lösen und gehören zum traditionellen Vorgeplänkel rund um den Musikwettbewerb. Diesmal ging es um die Nennung des Sozialen Netzwerks Facebook – immerhin ein milliardenschwerer US-Internetkonzern – im Songtitel. Der Veranstalter, die European Broadcasting Union (EBU), lehnte die ursprüngliche Version „Facebook, uh, oh, oh“ als zu werbig ab. Doch kein Problem für einen Profi wie Siegel: «“ch habe die Version umgeschrieben“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das Wort Facebook komme nun gar nicht mehr vor. Am Donnerstgabend sollte die neue Version in San Marino vorgestellt werden – den neuen Titel verriet Siegel aber noch nicht.
Trotzdem findet er den Vorwurf, er habe Werbung für Facebook gemacht, lächerlich. Ganz im Gegenteil. „Ich fand das saulustig und wollte es auf fröhliche Weise satirisch behandeln. Ich habe auf Facebook viele nette Bekanntschaften gemacht, aber auch viel Blödsinn gesehen“, sagte er.
Der 66-Jährige hat seit 1974 Dutzende Songs ins ESC-Rennen geschickt. Sein größter Triumph gelang ihm vor 30 Jahren: 1982 sang die damals noch weitgehend unbekannte 17-jährige Nicole seine Komposition „Ein bißchen Frieden“ und holte den Titel erstmals nach Deutschland. In diesem Jahr bot er acht Ländern seine Lieder für den ESC an. In San Marino setzte er sich mit der Sängerin Valentina Monetta schließlich „gegen starke Konkurrenz“ durch, wie er sagt.
Auch der Kleinstaat San Marino selbst zeigte sich von der Entscheidung der EBU verwundert. Es handele sich bei dem Lied bewusst um eine Parodie „mit einem Bezug zur Welt der Social Networks, für die Facebook der markanteste Ausdruck gewesen ist und weiterhin ist“, hieß es vom Staatsfernsehen.
San Marino ist erst zum dritten Mal beim Song Contest mit von der Partie. Vor vier Jahren in Belgrad war bereits im Halbfinale Schluss, im vergangenen Jahr in Düsseldorf erreichte das Land mit dem Song „Stand by“ der Sängerin Senit das Finale, wo Platz 16 raus sprang.
Auch Italien, das wie Deutschland bereits für das ESC-Finale am 26. Mai gesetzt ist, hat seinen Song geändert. Allerdings nicht wegen Kritik daran, sondern weil der neue Song „L’Amore E Femmina“ eingängiger und beliebter sei als das ursprüngliche Lied „Per Sempre“, wie es von italienischer Eurovisions-Seite hieß. Die Sängerin bleibt aber Nina Zilli. Sie ist eine von 25 Konkurrenten des deutschen Teilnehmers Roman Lob („Standing Still“). [Patrick T. Neumann]
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