Kürzlich wurde bekannt, dass die deutschen Autobauer Daimler, BMW und Audi Nokias Kartendienst Here erworben haben. Sie argumentieren, dass die Zukunft nicht nur in den PS, sondern auch in den Bordcomputern liegt. Zudem soll das eigene Kartensystem eine Unabhängigkeit von Apple und Google schaffen und auch die Entwicklung der selbstfahrenden Autos vorantreiben.
Die deutschen Autokonzerne nehmen Milliarden in die Hand, um einer Abhängigkeit von Google und Apple in ihrem Kerngeschäft zu entgehen. Mit Nokias Kartendienst Here bekommen Daimler, BMW und die Volkswagen-Tochter Audi ein Koordinaten-System für ihre künftigen selbstfahrenden Autos. Und sie hoffen auf eine bessere Chance, in den Cockpits ihrer Fahrzeuge die Kontrolle über Navigation und die Geschäftsmöglichkeiten mit ortsbezogenen Angeboten zu behalten. Zugleich holen sich die Autokonzerne damit aber auch eine kostspielige Endlos-Baustelle ins Haus – das Straßennetz verändert sich ständig, ebenso wie die Geschäfte am Wegesrand.
Schon der Kaufpreis von 2,8 Milliarden Euro liegt weit unter dem, was Nokia über die Jahre in seine Sparte gesteckt hat. Schließlich war allein der Kauf des Kartenspezialisten Navteq im Jahr 2007 gut acht Milliarden Dollar schwer. Und Hunderte Millionen Dollar flossen in den vergangenen Jahren in die Aktualisierung der Karten – auch mit speziellen Kamera-Fahrzeugen, wie man sie vor allem von Google kennt. Das Ergebnis: Here hat Karten für rund 200 Länder. Das geschäftliche Gewicht der Sparte blieb für Nokia aber überschaubar – im ersten Halbjahr warf sie gerade einmal einen operativen Gewinn von 28 Millionen Euro ab.
Doch den Autobauern geht es bei dem Karten-Deal mehr um die Zukunft des eigenen Geschäfts als den Kauf eines Profit-Bringers. „Die Autobauer haben Angst, Daten an Google und Apple zu verlieren“, erklärt ein gut vernetzter Unternehmensberater, der die Hersteller bei der Entwicklung eigener Systeme unterstützt. Sie befürchteten auch, dass Apples Plattform Carplay und Android Auto für Smartphones mit dem Google-Betriebssystem die Kontrolle im Cockpit übernehmen. „Carplay und Android Auto sind so designt, dass das Auto zum Zubehör des Smartphones wird.“
Die Gegenbewegung aus der Auto-Industrie wird immer offensichtlicher, dabei zeichnete sich bisher eine japanisch-amerikanische Achse ab. Erst vergangene Woche gab der Branchengigant Toyota eine Kooperation mit dem Navigations-Spezialisten Telenav bekannt, dessen Service in neue Modelle integriert werden soll. Die Japaner arbeiten bei der Fahrzeug-Vernetzung bereits mit Ford zusammen. Und Ford-Chef Mark Fields warnte bei einem Auftritt: „Wir wollen nicht als Mobiltelefon-Geschäft enden.“
Auch der Chef der Audi-Mutter VW, Martin Winterkorn, warnt seit Monaten davor, dass nicht mehr nur Toyota und General Motors die Konkurrenten von Morgen seien, sondern auch die Internetriesen wie Apple und Google. Es gehe „in unserem Geschäft nicht mehr allein um PS und Drehmoment“, sagt er. „Dass die Geschäftsmodelle von heute nicht automatisch für die Welt von morgen taugen, beweist ganz aktuell die Digitalisierung.“ Der digitale Wandel verändere Fahrzeuge, Fabriken, Arbeitsplätze und Kundenbeziehungen. „Der Wettlauf um die Mobilität der Zukunft ist extrem hart, eine Erfolgsgarantie gibt es für niemanden.“
Die spannende Frage ist nun, was Daimler, Audi und BMW mit Here vorhaben. In Medienberichten hatte es zuvor geheißen, sie wollten auch andere Hersteller ins Boot holen. In der Pressemitteilung deutete der für Here zuständige Spartenchef Sean Fernback an, dass das Geschäft erst einmal wie bisher weitergehen solle. „Die neue Eigentümerstruktur wird es uns erlauben, unsere Strategie zu beschleunigen, unser Geschäft zu vergrößern und unsere Absicht zu erfüllen, zum führenden Cloud-Unternehmen über verschiedene Branchen hinweg zu werden.“
Here startete in den vergangenen Monaten ein ambitioniertes Projekt für eine Plattform, bei der Daten aus Autos in Internet-Rechenzentren ausgewertet werden. Here-Manager Ogi Redzic hofft, dass die einzelnen Autobauer einen Weg finden werden, Daten etwa zur Verkehrslage auszutauschen, um für mehr Sicherheit zu sorgen.
Die Analysefirma IHS traut es den Autokonzernen zu, auf Basis der Here-Technologien einen „De-Facto-Standard“ zu etablieren. „Möglicherweise der wichtigste Aspekt ist, dass das Konsortium auch Eigentümer der eigenen Daten sein wird, und nicht erst klären muss, ob sie diese kontrollieren, oder ein Dienste-Anbieter.“ Die Autohersteller versuchen schon seit einiger Zeit, ihr Geschäft stärker vom Fahrzeug-Verkauf auf Mobilität insgesamt auszurichten. So betreiben Daimler und BMW eigene Carsharing-Dienste.
Insgesamt kann man Here durchaus als Schnäppchen für die Autobauer betrachten. Nokia hatte die Plattform als Gesamtlösung für vernetzte Fahrzeugsysteme weit über die Navigation hinaus angelegt. Und erst vor wenigen Jahren hatte Apple gezeigt, wie aufwendig und kostspielig der Einstieg in Kartendienste ist. Als der iPhone-Konzern vor knapp drei Jahren seinen eigenen Service startete, waren die Karten voller Fehler und mussten erst mühsam nachgebessert werden. [Andrej Sokolow/ag]
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