
Es ist mittlerweile schon grotesk. Erst hieß es, alle würden angeblich auf Netflix in Deutschland warten, aber keiner konnte so richtig sagen, auf welche Revolutionman da genau warte und warum man sich diese überhaupt erhoffe. Jetzt ändert sich die Diskussion und es geht vielmehr darum, wer keine Angst vor Netflix hat.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Es geht um Menschen, die KEINE Angst vor Netflix haben. So kann jetzt jeder Marktteilnehmer per Presseaussendung oder im Interview verlautbaren, warum er keine Angst hat und sich auch keine Sorgen machen muss. Warum das aber überhaupt in Erwägung gezogen wird, im Falle von Netflix Angst zu haben, sagt keiner.
So ist die Diskussion um den Start des Videostream-Portals Netflix in Deutschland am 16. September 2014 mittlerweile geradezu abenteuerlich geworden. Besonders die alteingesessenen Free-TV-Fernsehsender scheinen es mit der Verteidigung ihrer linearen Programme in Deutschland besonders nötig zu haben. RTL-Chefin Anke Schäferkordt sieht für die RTL-Gruppe keine Gefahr, fürchtet auch die Konkurrenz nicht, weiß aber um ihre Folgen. Denn durch Video-Portale verlören klassische TV-Sender zunehmend an Exklusivität. Neue Strategien seien daher von Nöten, so Schäferkordt im Interview.
Auch ARD-Chef Lutz Marmor hat nach eigenen Worten keine „Angst“: Auf Netflix reagiere man mit neuen Angeboten, aber lineares Fernsehen und Radio seien noch immer stark und auch Netflix müsse sich im Rechtehandel refinanzieren, beschwichtigt der ARD-Chef betont unaufgeregt. Insofern habe er da keine „Angst“, wird jedoch auch hier im Zitat der Presseagentur ergänzt. Warum Angst? Wovor überhaupt? Wenn es um Existenzangst durch Verdrängungswettbewerb von Pay-Angeboten ginge, wäre das doch nicht neu.
Zurück zu den Free-TV Sendern: Wir wissen also jetzt, wer keine „Angst“ hat – warum und wovor auch immer. Aber dann muss es ja auch diejenigen geben, die Angst haben, sagt der journalistische Sachverstand, sonst müsse man es über Presseagenturen doch gar nicht thematisieren. Sagt man hier möglicherweise das Gegenteil, um von den wahren Befürchtungen abzulenken? Hat Netflix möglicherweise selbst Angst vor der eigenen Courage in den deutschen Markt zu kommen? Oder brauchen wir alle im Sommerloch einfach ein emotionales Thema wie Angst, um uns und andere Menschen damit in Deutschland zu beschäftigen?
Zu den Fakten und das wieder ganz nüchtern: Netflix soll dem Vernehmen nach den Nutzer rund 8 Euro als Basisangebot für einen Stream kosten und rund 12 Euro für vier Streams. Klingt das jetzt so toll, bahnbrechend und neu für Deutschland? Ich denke: Nein. Es ist vor allem eines nicht: angsteinflößend. Es wirkt stattdessen mit einem Blick auf die Konkurrenz in Deutschland preislich nachvollziehbar. Eine Revolution ist es nun wirklich nicht.
Netflix selbst ist sehr zurückhaltend. Fast devot erzählen Netflix-Vertreter aus Amsterdam, die für den deutschen Marktstart eingesetzt werden, dass man den Markt in den USA nicht mit dem in Deutschland gleichsetzen könne und dass man bloß nicht zu viel erwarten solle. Über das konkrete Film-Angebot, die Qualität und wie man den Service mit noch kleiner Mannschaft zum Start von Amsterdam aus überhaupt sicherstellen will, redet man noch nicht.
Zur IFA in Berlin oder spätestens zum Netflix-Start kurz danach sind wir schlauer. Dann kommt die Stunde der Wahrheit, wenn der große „Run“ auf Netflix endlich losgehen oder eben auch nicht losgehen wird. Ob wir dann wohl alle endlich Angst haben werden?[Kommentar von Torsten Herres, Herausgeber]
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