Laut internen Unterlagen haben die Banken die Insolvenz des operativ profitablen Kabelnetzbetreibers Primacom bewusst provoziert, um sich das Unternehmen mit Hilfe des Insolvenzverwalters zum Spottpreis von nur 1,3 Millionen Euro selbst zu sichern.
Bei der Insolvenz der Primacom AG im Juni 2010 lief anscheinend einiges nicht ganz zufällig zugunsten der kreditgebenden Banken. DIGITALFERNSEHEN.de liegen inzwischen die vollständigen internen Insolvenzakten vor, in denen so manch pikante Details zu finden. Diese werden wir Ihnen in der Reihe „Pleite, Pech und Primacom“ in loser Folge ab sofort vorstellen.
Anfang Juni brachen die damaligen Vorstände Michael Dorn sowie Sebastian Freitag die Gespräche mit den Banken über Neuverhandlungen der auslaufenden Kredite ab. Zu unterschiedlich waren die Ansichten. Der Mehrheitsaktionär, das luxemburgische Finanzkonstrukt Escaline S.a.r.l., wollte bei den Banken einen Schuldenschnitt durchdrücken, der vorherige Vorstand Michael Buhl hatte bis Ende Mai als Kompromissangebot einen Kapitalschnitt ausgearbeitet, durch den die Banken Miteigentümer geworden wären.
Doch die Banken, allen voran die holländische ING, wollten im Gegenzug die absolute Macht über das hochprofitable Unternehmen, das selbst im Insolvenzjahr 2010 einen operativen Gewinn (EBITDA = Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen) von 43 Millionen Euro bei „nur“ 110 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete. Die ING stellte Mitte Juni einen Teilbetrag des Kredites in Höhe von 29.195.040,90 Euro vorzeitig fällig und nahm sich den im Tochterunternehmen Primacom Management GmbH (PMG, inzwischen umbenannt in Primacom Holding GmbH) gebündelten operativen Betrieb als Pfand. Daraufhin musste die AG am 14. Juni Insolvenz anmelden.
Die ING-Bank kündigte für den 5. Juli die Versteigerung der Primacom Management GmbH an. Aus den internen Unterlagen geht nun hervor, dass die Banken keineswegs spontan gehandelt haben, sondern die Quasi-Enteignung zu ihren Gunsten von langer Hand geplant hatten. Von vornherein sei festgestanden, dass man sich den hochprofitablen Kabelnetzbetreiber selbst unter den Nagel reissen wolle.
Sich selbst konnten die Banken den Laden aus juristischen Gründen nicht verkaufen, deshalb wurde das Treuhandkonstrukt Medfort S.a.r.l. aus dem Hut gezaubert und bereits Anfang Juni mit Geschäftsführern und Kapital passend ausgestattet. Auch bei der Benennung des Insolvenzverwalters durch das Amtsgericht Charlottenburg überließ man nichts dem Zufall. Man wollte einen schnellen, kooperativen Abwickler.
Laut der Verwertungsvereinbarung vom 2. Juli (Freitag) hatten die Banken (Kreditgeber) „dem Insolvenzverwalter zum Ausgleich seiner Aufwendungen für die Vornahme und Veranlassung des Verkaufs der PMG Geschäftsanteile“ angeboten. Am Samstag, den 3. Juli, erschien der Medfort-Geschäftsführer Lars Ruppert vor einem Münchner Notar und unterzeichnete das verbindliche „Angebot auf Abschluss eines Geschäftsanteilskauf- und Übertragungsvertrages“. In diesem machte er dem Insolvenzverwalter ein unwiderrufliches, bis zum 5. Juli, 10.30 Uhr gültiges Kaufangebot.
Am 4. Juli (Sonntag) teilt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG AG dem Insolvenzverwalter ihre „Fairness Opinion“ zu diesem Kaufangebot quasi im Schnelltest auf acht Seiten mit: „Die angebotene Gegenleistung (1,3 Mio Euro, Anm. der Redaktion) … ist finanziell angemessen“, so das Fazit. Genauein halbes Jahr später, am 4. Januar 2011, bewertet die KPMG das Asset PMG erneut und kommt zu einem weitaus höheren Betrag.
Der Insolvenzverwalter eilte mit den Unterlagen am Montag, dem ursprünglich angesetzten Versteigerungstermin, zum Amtsgericht und erwirkte um 7 Uhr in der Früh die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die PMG wird noch vor 10.30 Uhr an die Medfort für läppische 1,3 Mio. Euro verkauft. Branchenbeobachter bezweifeln stark, ob dies in dieser Eile notwendig und vor allem legitim war. Der operative Betrieb trug sich auch zu dieser Zeit alleine und war nie in Gefahr.
Der Insolvenzverwalter rechnete für seine Arbeit zwischen der Beauftragung am 16. Juni und dem 4. Juli lediglich 10,5 Arbeitssstunden ab: 2,5 Stunden Erstgespräch mit den Vorständen, 3 Stunden Aktenstudium, 1,5 Stunden Informationseinholung bei Dritten sowie 3,5 Stunden Erstellung des Gutachtens. Für die genaue Prüfung blieb somit kaum Zeit.
Die ihrer Meinung nach enteigneten Kleinaktionäre stellen sich inzwischen vermehrt die Frage, ob die Kreditgeber dem bisherigen Eigentümer die Kredite rechtmäßig kündigen durften um anschließend dem neuen die Kredite unverändert oder sogar zu besseren Konditionen weiterzugewähren. Von der Primacom bekamen wir leider zu diesen Fakten trotz mehrmaliger Anfragen kein Statement, hier schweigt man weiterhin beharrlich zu dem Thema.
Stefan Hofmeir ist Herausgeber des Leipziger Auerbach Verlags, der neben dem Online-Dienst DIGITALFERNSEHEN.de insgesamt 14 Zeitschriften im Bereich Digital-TV, Unterhaltungs- und Hauselektronik sowie Entertainment publiziert.[Kommentar von Stefan Hofmeir, Herausgeber Auerbach Verlag]
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