Nach dem Erfolg der „John Wick“-Kinofilme bringen die Macher nun das erste Spin-off beim Streamingdienst Prime Video raus. In dem als Miniserie getarnten Dreiteiler „The Continental“ spielt Keanu Reeves als John Wick allerdings nicht mit. Kann das funktionieren?
Der Actionthriller „John Wick“ war vor neun Jahren ein Überraschungserfolg im Kino und gab der Karriere von Hauptdarsteller Keanu Reeves neuen Schwung. Nach drei Fortsetzungen mit Reeves geht nun beim Streamingdienst Prime Video ein Spin-off an den Start, in dem John Wick selbst überhaupt nicht vorkommt. „The Continental: Aus der Welt von John Wick“ spielt nämlich in den 1970er Jahren.
Dass Keanu Reeves nicht mitspielt, sei „die größte Herausforderung der Show“, gibt der ausführende Produzent der Serie, Basil Iwanyk, im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur in London zu. Deshalb sei man von der ursprünglichen Idee, die Serie in der Gegenwart spielen zu lassen, abgerückt. „Ich glaube, dass es ein Prequel ist, hilft“, sagt Iwanyk, „denn so fragt niemand: Wo ist John? Wo ist Keanu?“
Stattdessen rückt Winston Scott in den Mittelpunkt. Winston ist in den Filmen, in denen er grandios von Ian McShane verkörpert wurde, der mysteriöse Inhaber des The Continental, in dem Berufskiller unterkommen. In dem New Yorker Luxushotel herrschen strenge Regeln, es gilt als neutraler Boden der Unterwelt, auf dem Töten untersagt ist. Wer dagegen verstößt, wird ausgestoßen und ist dem Tod geweiht.
Die Miniserie erzählt, wie Winston zu seiner Position kam. Colin Woodell spielt den jungen Winston, der als Kind in etwas verwickelt war, für das sein älterer Bruder Frankie die Schuld auf sich nahm. Jahrzehnte später haben beide keinen Kontakt mehr miteinander. In den 70er Jahren betreibt Winston in London seine illegalen Geschäfte, Frankie in New York City.
Statt Keanu Reeves ist Mel Gibson mit von der Partie
Doch Frankie macht sich mächtige Feinde, allen voran Cormac (Mel Gibson) – der damalige Besitzer des Continental – und dessen Verbündete. Cormac lässt Winston in London kidnappen und macht ihm klar, dass er ihn anstelle seines Bruders zur Rechenschaft zieht, wenn Frankie nicht einen geklauten Gegenstand aushändigt, der die Machtverhältnisse in der Unterwelt dramatisch ändern könnte. Winston muss also Frankie finden.
Genau genommen ist „The Continental“ eher ein TV-Dreiteiler als eine Miniserie. Jede Folge ist etwa 90 Minuten lang. Dabei habe man sich an den „Event Movies“ von früher orientiert, aufwendig produzierten TV-Filmen. „Es machte einfach Sinn für uns“, sagt die ausführende Produzentin Erica Lee. „Es gibt uns viel Raum, um die Geschichte zu erzählen. Und wenn man die Episoden anschaut, fühlt es sich auch ein bisschen wie ein Film an.“
Allerdings erfordert es auch Geduld beim Publikum. Die erste Folge lässt sich stellenweise sehr viel Zeit und mutet Zuschauern einige langatmige Dialoge zu, bevor es endlich zur Sache geht. Und das tut es. Die dritte Episode sei „einfach total verrückt“, verspricht Lee.
Zunächst muss man sich an die dunkle Optik und den Farbfilter der Serie gewöhnen, der es etwas künstlich aussehen lässt. Für Stimmung sorgt der Soundtrack mit 70er-Jahre-Klassikern von Donna Summer, ZZ Top, Boney M. oder Black Sabbath. Mitunter ist der Einsatz der Musik jedoch äußerst unbehaglich, etwa wenn zu den Klängen von Baccaras Kulthit „Yes Sir, I Can Boogie“ jemand zu Tode geprügelt wird.
Bei „The Continental: Aus der Welt von John Wick“ geht es wie gewohnt zur Sache
Überhaupt ist „The Continental“ eine ziemliche Gewaltorgie – und steht damit wohl ganz in der Tradition von «John Wick». Anders als bei vielen Filmen heutzutage sieht man immerhin keine explodierenden Köpfe oder Innereien. „Die Action bei John Wick ist ein bisschen blutig, aber wir sehen keine ekelhaften Dinge“, betont Iwanyk. „Es ist filmische Gewalt, bei der man lachen muss. Nicht, weil es lustig ist, sondern weil es so absurd ist. Es geht absolut nicht ums Blut.“
Erwartungsgemäß wird viel geballert und die Zahl der Toten steigt rapide. Wenn allerdings Menschen aus dem Fenster in den Tod springen, um ihre Familie zu schützen, und das mit Humor in Szene gesetzt und mit cooler Musik garniert wird, wirkt das doch äußerst zynisch und dürfte für manche die Geschmacksgrenzen überschreiten.
„Beim ersten ‚John Wick‘-Film hatten wir Angst“, erzählt Iwanyk. „Sein Auto wird geklaut und sein Hund getötet, rechtfertigt das, dass er 45 Menschen tötet? Wir hatten auch Angst vor den Kritikern, aber das Publikum hat es akzeptiert. Ja, wir übertreiben etwas mit Action und Gewalt, aber man merkt hoffentlich, dass es nur Spaß ist.“
Der bislang unbekannte Colin Woodell („Ambulance“) hat zwar nicht ganz das Charisma des großartigen Ian McShane, doch er überzeugt als junger Winston. Und der einstige Hollywood-Superstar Mel Gibson, dessen Karriere wegen Alkoholproblemen und diverser Tiraden vorbei zu sein schien, läuft als herrlich fieser Cormac zur Höchstform auf.
Sieht man über einige Längen hinweg, ist „The Continental: Aus der Welt von John Wick“ eine interessante Erweiterung des Franchise. Das nächste Spin-off steht übrigens auch schon an. Im kommenden Jahr soll der Actionthriller „Ballerina“ mit Ana de Armas in der Hauptrolle in die Kinos kommen. Dann ist auch Keanu Reeves wieder mit dabei.
[Philip Dethlefs]