Seit Freitag hat Netflix einen neuen Publikumsmagneten im Programm. „Spuk in Bly Manor“ ist die Fortsetzung der Erfolgsserie „Spuk in Hill House“. Die ersten Folgen hinterlassen allerdings einen zwiespältigen Eindruck.
Wohl kaum jemand hätte im Jahr 2018 geahnt, zu welchem Erfolg sich Mike Flanagans „Spuk in Hill House“ entwickeln würde. Die enorme Mundpropaganda um die Spukhausgeschichte in den sozialen Netzwerken machte aus dem Format eine der meistdiskutierten Netflix-Serien der letzten Jahre. Zwar litt die Neuinterpretation des berühmtem Romans von Shirley Jacksons arg unter seiner Vielzahl an Charakteren, die nur müßig unter einen Hut gebracht werden konnten. Das Erfolgsrezept der Miniserie bestand jedoch in effektiv inszeniertem Grusel und einigen hervorragend inszenierten Wendungen.
Flanagan nutzte gekonnt die Macht der Suggestion. Immer wieder versteckte er stumme, geisterhafte Gestalten im Hintergrund seiner Bilder. Ein Geniestreich, um im Netz für Aufsehen sorgten! Fans tippten sich wochenlang die Finger wund, teilten Screenshots, wo man überall einen Geist vermutete. In gewisser Weise die gruselige Fortführung von Wimmelbildern alter Kindermagazine. Nur, dass es bei Netflix keinen Gewinn dafür gibt!
Neue Geschichte, neues Spukhaus
Nun erscheint zwei Jahre später der Nachfolger „Spuk in Bly Manor“. Eine klassische Fortsetzung ist diese zweite Staffel aber nicht geworden. Vielmehr handelt es sich um eine Anthologie, die sich in jeder Staffel offenbar einen neuen Literaturklassiker vornimmt. Dieses Mal hat Mike Flanagan Henry James‘ bereits mehrfach verfilmte Novelle „Die Drehung der Schraube“ (im Original „The Turn of the Screw“) von 1898 adaptiert. Die Handlung hat er dafür in das England der 1980er Jahre verlegt.
In „Bly Manor“ begibt sich ein junges amerikanisches Kindermädchen zu dem titelgebenden Anwesen. Dort soll sie auf die Nichte und den Neffen von Henry Wingrave als Au-pair-Mädchen aufpassen. Doch in dem riesigen Haus geht Schauderhaftes vor sich. Geister treiben in dem Gemäuer ihr Unwesen und die Kinder scheinen etwas zu verbergen.
Lediglich Altbekanntes
„Spuk in Bly Manor“ hat bereits in den ersten Folgen einige routinierte Gruselszenen auf Lager. Wenn hier im Dunkeln durch die endlosen Gänge des Anwesens gewandelt wird und ein leichter Kamerablick zur Seite die Flanagan’schen Geistererscheinungen für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar macht, erzielt auch diese zweite Staffel ihre Wirkung. Eine große Offenbarung darf man dabei aber vermutlich nicht erwarten.
„Bly Manor“ wartet von Anfang an weder mit stilistischen Besonderheiten noch mit neuen Genre-Erkenntnissen auf. Es ist leider schlicht und ergreifend so, dass sich langsam aber sicher Spinnweben und Staub auf das Genre der Spukhausfilme gelegt haben. Mike Flanagan weiß mit dem Spukhaus eines der zentralsten Motive künstlerischer Phantastik intensiv zu bedienen, neue Perspektiven und Twists verspricht der Auftakt von „Bly Manor“ allerdings selten. Die Netflix-Miniserie „Ju-On: Origins“ war da zuletzt weitaus radikaler!
In die Länge gezogen
Vor allem aber zeigt sich schon nach kurzer Zeit in „Bly Manor“ die Krux der gegenwärtigen Serienkultur, nämlich der Hang zum unnötigen Ausdehnen, anstatt sich auf den Kerngedanken der Erzählung zu konzentrieren. Die Vorlage der neun Folgen, die Novelle von Henry James, schert sich kaum um irgendwelche Charakterdramen und ausufernde Handlungsstränge. Vielmehr ist James‘ Text ein kurzer, prägnanter und vieldeutig erzähltes Verwirrspiel über drohenden Realitätsverlust und die Angst vor dem eigenen Scheitern.
Für die Serienadaption wirkt das alles endlos aufgebläht und ausgeschmückt. Alle Figuren müssen krampfhaft mit Biographien und Befindlichkeiten ausgefüllt werden. Dazu allerhand huschende Gespenster, gruselige Puppen und dunkle Ecken – all das Geisterbahninventar, das die literarische Vorlage in ihrem subtilen Grauen eigentlich kaum gebraucht hat.
Nach dem Auftakt der Serie bleibt jede Menge Lust auf die Halloween-Zeit. Zumindest das kann man „Spuk in Bly Manor“ nicht vorwerfen. Stimmungsvoll inszeniertes, unterhaltsames und aufwendig ausstaffiertes Gruselprogramm für die kommenden Tage bietet Mike Flanagans „Hill House“-Fortsetzung zur Genüge. Bingewatching-Material! Nach dem ersten Eindruck scheint jedoch fraglich, ob die Literaturadaption länger im Gedächtnis bleiben kann, wie es der Vorgänger geschafft hat.
Ob dieser Eindruck täuscht, können Horrorfans jetzt bei Netflix herausfinden. Seit dem 9. Oktober steht die gesamte Staffel zur Verfügung.
Bildquelle:
- spuknetflix: Netflix/ Eike Schroter